„Der Mann, der Lucky Luke erschoss“: Grashalm statt Kippe
Kann der größte Cowboy aller Zeiten einfach so sterben? Im Comic des französischen Zeichners Matthieu Bonhomme schon.
„Peng!“ Der Comic beginnt mit einem Knall, einem Pistolenschuss, der weit über die Ortschaft hinaus zu hören ist. Auf dem letzten der im filmischen „Breitwandformat“ angelegten Panels der ersten Seite ist dann der Getroffene zu sehen. An seiner typischen Kleidung, der schwarzen Weste über gelbem Hemd, blauen Jeans und weißem Hut ist erkennbar, wer da tot in der Pfütze liegt: niemand weniger als Lucky Luke.
Ist das vorstellbar, dass einem „Outlaw“ von Zeichner erlaubt wird, eine Legende der Wildwest-Comic-Kultur sterben zu lassen? Bisher zeichnete sich die beliebte Comicserie „Lucky Luke“ des Belgiers Maurice de Bévère alias Morris (1923 – 2001) vor allem durch Humor aus, nur selten hauchte einmal ein Bösewicht sein Leben aus. Die 1946 erstmals in der Zeitschrift Spirou aufgetretene Figur wurde nach dem Tod des Zeichners stilgetreu von seinem Nachfolger Achdé fortgeführt, wenn auch nicht ganz mit dem Esprit und der Originalität, mit der Morris selbst die Serie gestaltete.
Manch anderer belgischer Comic-Klassiker wurde nach dem Tod seines Schöpfers ganz eingestellt, „Tintin“ beziehungsweise „Tim“ etwa sollte nach dem Willen seines Vaters Hergé nach seinem Tod nicht von einem anderen Zeichner fortgeführt werden, da er die Reihe als seine persönliche Schöpfung begriff.
„Spirou“ hingegen, erdacht vom Zeichner Rob-Vel 1938, wurde erst unter André Franquins Feder in den 1950ern zum Klassiker. Seit Ende der 1990er gestattete der Verlag Dupuis wechselnden Zeichnern, eine „Spirou“-Episode im eigenen Stil zu zeichnen. So entstanden zahlreiche originelle Variationen um den rothaarigen Hotelpagen und seinen tollpatschigen Freund Fantasio, die auch intelligent die Entstehungszeit der Serie in die Handlung einbezogen, die 30er Jahre („Spirou – Porträt eines Pagen als junger Tor“ von Émile Bravo) und Belgien unter deutscher Besatzung („Operation Fledermaus“ von Yann/Schwartz).
Matthieu Bonhomme: „Der Mann, der Lucky Luke erschoss“. Übersetzung aus dem Französischen von Klaus Jöken. Egmont Verlag, Köln 2016, 64 S., 15 Euro
Nun bot man anlässlich des 70-jährigen Geburtstags der Figur Lucky Luke einem Zeichner die Gelegenheit, eine Hommage an den beliebten Revolverhelden auf persönliche Weise zu gestalten: Matthieu Bonhomme. Der 1973 geborene Franzose bezeichnet Lucky Luke in einem kurzen einleitenden Text als „Weggefährten“ und „engen Freund seit meiner Kindheit“. Diese Liebe merkt man dem nun erschienenen Sonderband „Der Mann, der Lucky Luke erschoss“ an. Der Titel ist eine Anspielung an John Fords Spätwestern „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ von 1962.
Erfahrung im Westerngenre
Bonhomme versucht gar nicht erst, seinen Meister Morris zu imitieren, sondern steckt die bekannte Figur in ein realistischeres Setting, dem er auch in anderen Arbeiten verpflichtet ist. Seine Abenteuerserie „Esteban“ (auf Deutsch bei Salleck Publications) spielt im Walfängermilieu auf hoher See und richtet sich an jugendliche Leser.
Aber Bonhomme hat auch im Westerngenre Erfahrung: In „Texas Cowboys“ (ebenfalls bei Salleck erschienen) nach Szenarios des Zeichner-Stars Lewis Trondheim zeichnete er einige locker verknüpfte Episoden im Stil von Western-Pulp-Romanen, die durch die Figur des Journalisten Harvey Drinkwater zusammengehalten werden – eine Mischung aus Western-Versatzstücken mit parodistischen Elementen und pfiffigen Dialogen.
Stilistisch hat Bonhomme hier mit seinen kernig-kauzigen, dezent überzeichneten Wildwest-Charakteren und romantischen Landschaften also schon die Blaupause für das aktuelle Lucky-Luke-Abenteuer gesetzt.
Der ansonsten stets coole Lucky Luke wird nun unter Bonhommes Feder zu einem ernsthaften, fast introvertierten Charakter, der mit seinem Poncho an Clint Eastwoods Rollen in Sergio-Leone-Filmen erinnert. Trotz seiner Aura als „Fremder ohne Namen“ wird er überall als der berühmte Meisterschütze erkannt, der die Daltons eingebuchtet hat.
Als er zufällig im Städtchen Froggy Town Rast macht, wird er mit einem gerade geschehenen Überfall auf einen Goldtransport konfrontiert, der angeblich von einem Indianer begangen wurde, und kann die Anfrage, bei der Klärung des Falles behilflich zu sein, nicht ablehnen. Dabei steht ihm ein örtlicher, rothaariger Familienclan (vielleicht eine Anspielung auf Sergio Leones Film „Spiel mir das Lied vom Tod“), der auch den Sheriff stellt, im Wege.
Jolly Jumper und Doc Wednesday
Neben seinem treuen Pferd Jolly Jumper ist es ein gealterter Revolverheld namens Doc Wednesday, der dem Helden hier zur Seite steht – eine Reminiszenz an den historischen Revolverhelden und Tuberkulosekranken Doc Holliday. Als schöner Running Gag erweist sich, dass in dem trostlosen Städtchen der Tabak ausgegangen ist und Lucky Luke immer wieder verzweifelt versucht, sein Suchtmittel aufzutreiben – doch selbst dem benachbarten Indianerstamm wurde der Stoff für die Friedenspfeife durch die Wetterkapriolen verdorben. Dabei wird auch eine plausible Erklärung dafür geliefert, warum Lucky Luke eines Tages vom Glimmstengel auf das Lutschen eines Grashalms umgesattelt hat.
Matthieu Bonhomme erfindet mit dem One-Shot den „Mann, der schneller zieht als sein Schatten“, nicht neu, überzeugt aber mit einer in der Tradition der „Spätwestern“ stehenden anspielungsreichen Story, die sich sorgfältig und langsam entwickelt und aus der Hauptfigur einen menschlichen Charakter mit Schwächen herausformt.
Neben pointierter Zeichnung auch der Nebenfiguren und dem immer wieder aufblitzenden subtilen Humor sind es vor allem die stimmungsvollen, oft auf Dialoge verzichtenden Bildsequenzen, die dem Leser ein zeitloses Westernvergnügen bereiten. Etwa Lucky Lukes einsamer Ritt durch regennasse Wälder oder die nächtlichen Licht-und Schatten-Spiele, wenn sich ein Lynchmob formiert, um die vermeintlich schuldigen Indianer zu jagen. Nicht zu vergessen der filmisch inszenierte finale Showdown. Dabei setzt Bonhomme gezielt auf die expressiv-flächige Kolorierung, die Morris in zahlreichen Geschichten anwendete und die sich auch hier als äußerst wirkungsvoll erweist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken