Der Maler Alexander Camaro in Berlin: Die Geister der Stille

Das „Hölzerne Theater“ von Alexander Camaro ist ein legendäres Werk der frühen Nachkriegszeit. Die Camaro-Stiftung zeigt den Zyklus in Berlin.

Gemälde mit vielen dunklen Rot- und Ockertönen, zeigt eine Figur hinter einem Tresen

Ausschnitt aus: Alexander Camaro, „Gardobiere im Parkett“ aus dem Zyklus „Hölzernes Theater“ 1946 Foto: Eric Tschernow, ©Alexander und Renata Camaro Stiftung

Sie sind dort. Aber vielleicht nicht wirklich. Vielleicht sind sie eher eine Erinnerung des Raumes selbst an das Leben, das einmal in ihm war. Die Figuren, mit denen der Maler Alexander Camaro die Räume in seinem Zyklus „Hölzernes Theater“ bevölkerte, haben nicht selten eine Tendenz, sich in ihrer Umgebung aufzulösen.

Der Flecken des Gesichts der Dame mit Hut in „Loge Nr.13“ ist so blau wie der Raum hinter ihr, die Zuschauerin, die „Vom ersten Rang aus“ mit Opernglas hinunterblickt, verschwimmt von der Taille abwärts mit den Farbflächen des Raums, auch das Kleid einer Besucherin im „Parkettvestibül“ ist so rot wie der Teppich, über den sie geht. Sind sie nur Geister in diesem Haus?

1946 malte Alexander Camaro, zurückgezogen in Kleinmachnow am Berliner Stadtrand, den Bilderzyklus, der später oft als Kern seiner Arbeit als Maler und als seine Rückkehr als bildender Künstler angesehen wurde. Was lag zu der Zeit hinter ihm? Zunächst ein Leben, das man sich abenteuerlich vorstellt, weil er sich als junger Mann, 1901 in Breslau geboren, 1916/17 einer fahrenden Artistentruppe anschloss und als Seiltänzer auftrat.

Später studierte er Malerei, unter anderem bei Otto Müller, machte aber auch eine Ausbildung bei der Ausdruckstänzerin Mary Wigman in Dresden und trat in deren expressionistischen Tanzdramen als „Dämon des Krieges“ auf. Dann arbeitete in wechselnden Engagments als Ballettmeister und Pantomime.

Etwas von den Stimmungen der Nachkriegs­gesellschaft konnte in diesen Räumen ein Echo finden: etwas vom angehaltenen Atem, vom Leben im Wartezustand, von widersprüchlichen Emotionen

Als bildender Künstler traf ihn in der Nazizeit ein Ausstellungsverbot. Viele seiner frühen Arbeiten, die sich mit der Welt der Artisten beschäftigten, gingen in der Kriegszeit verloren. Mit einer Tanzpartnerin war er in den 1930er und 1940er Jahren unterwegs gewesen, zuletzt auch auf Frontbühnen in Kreta und Russland. Bis er 1944 untertauchte und illegal in Deutschland lebte.

Als das „Hölzerne Theater“ 1948 in der Galerie Schüler erstmals ausgestellt wurde, traf seine gespenstische Stille, die Melancholie der gedeckten Farben, aber auch das Großzügige und Freie der durchlässigen Farbflächen einen Nerv der Zeit. Etwas von den Stimmungen der Nachkriegsgesellschaft konnte in diesen Räumen ein Echo finden: etwas vom angehaltenem Atem, vom Leben im Wartezustand. Aber auch die widersprüchlichen Emotionen, die von Angst, von Scham und Schuld, von Trauer und Lebenshunger geprägt waren, passten zu der Stimmung zwischen Erwartung und Bedrückung in den Bildern.

Das barocke Theater in Gotha

Eine Inspirationsquelle für den Bilderzyklus war die Erinnerung an das Ekhof-Theater in Gotha, das Camaro bei einem Engagement in Gotha 1937/38 kennengelernt hatte. Es ist tatsächlich ein barocker Holzbau, der, als Camaro ihn begehen konnte, schon über viele Jahrzehnte leer stand. Zwischen 1681 und 1687 gebaut, war es mit seiner barocken Bühnenmaschine technisch Avantgarde und wurde ab 1775 unter der Leitung des Schauspielers Conrad Ekhof zum ersten feststehenden deutschen Hoftheater. Doch schon Ende des 18. Jahrhunderts wurde es nur noch sporadisch genutzt.

„Alexander Camaro. Hölzernes Theater“: Camaro-Stiftung, Potsdamer Straße 98a in Berlin, Di., Mi., Fr. 13–17 Uhr, Do. 13–20 Uhr, bis 9. Februar 2024. Es gibt einen Katalog.

Heute ist es ein Denkmal der Theatergeschichte, das der Fotograf Marcel Krummrich 2022 fotografiert hat. Seine großformatigen Ansichten von der Guckkastenbühne, den Kulissen und der alten Holzarchitektur ergänzen die Ausstellung des „Hölzernen Theaters“ in der Camaro-Stiftung.

Dem Maler kam es allerdings weniger auf eine Abbildung des historischen Ortes an als vielmehr auf eine Atmosphäre, die er erinnerte. Für Camaro spielte Erinnerungen, an seine Kindheit, die Zeit als Artist, an Räume und Gerüche, immer wieder eine Rolle, die er in Texten aufschrieb und in seinen Bildern bearbeitete. Was sich im „Hölzernen Theater“ schon zeigt, gilt für viele seiner bis in die 1990er Jahre entstandenen Bilder: Sie verbinden figurative und narrative Elemente mit einer eher abstrakten Malweise, die sich der Komposition von Flächen und Strukturen widmete.

Es sind immer nur flüchtige Konstruktionen, durchscheinend gemalt, in denen Raum oder Landschaft auch immer Entwurf einer Möglichkeit bleiben. Wie zerbrechlich das Theater in seinen Bildern wirkt, fast meint man das Holz ächzen zu hören, beschrieben Camaros Interpreten schon bald. Das Wissen, dass er die Bilder so kurz nach dem Krieg malte, als es auch um Obdach und Überleben für ihn wie für viele gegangen war, kam sicher zu der Berührung dazu, die sein Werk auslöste.

Heute kann man bei den Bildern dieses nur so sporadisch belebten Theaters auch an die Zäsur der zurückliegenden Pandemie-Jahre denken, als die Theater lange Pause machen mussten und dann nur ein ausgedünntes Publikum kommen durfte. Was sich die Geister im leeren Theater erzählen, beschäftigte auch da einige Künstler:innen.

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