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Der Lobbyist der WocheDer Mann mit der Mahn-Uhr

Die Uhr mit der roten Digitalanzeige leuchtet in einem Büroraum in Berlin-Mitte. Jeden Abend um 19:15 Uhr verschwindet der Doppelpunkt zwischen den Zahlen, so dass „1915“ zu lesen ist. Eine Stunde lang verweist die Uhr auf den Beginn des Völkermords an den Armeniern in der Türkei. Dann läuft sie normal weiter.

Ein „zeitbasiertes Denkmal“ nennt Miro Kaygalak (Foto), ein Berliner Künstler türkisch-kurdischer Herkunft sein Werk „1915–2015“. Ginge es nach dem 43-Jährigen, dann würde die Uhr im historischen Stadtkern der türkischen Kurdenstadt Diyarbakır stehen. „Noch vor einem halben Jahr signalisierte mir die Stadt großes Interesse“, sagt Kaygalak. „Nur sei der Zeitpunkt gerade ungünstig.“ Unter vier Augen hätte man ihm dann dringend davon abgeraten, sein Vorhaben in der Türkei weiter zu verfolgen.

Irgendwie scheint der Zeitpunkt immer ungünstig zu sein für die Mahn-Uhr: Die linkskurdische Partei HDP etwa begeisterte sich für das Projekt, wollte aber im Wahlkampf nicht damit assoziiert werden. Nach der Wahl verdrängten die Kriege in Syrien und im Osten der Türkei den Genozid von der Tagesordnung. In Deutschland wurde erst am Donnerstag eine Resolution der Grünen im Bundestag verschoben – aus Rücksicht auf die aktuellen Verhandlungen mit Erdoğan in der Flüchtlingsfrage.

Miro Kaygalak lässt trotzdem nicht locker. Er führt weiterhin Verhandlungen mit Gemeinden, Nichtregierungsorganisationen und Kulturfunktionären, verschickt offene Briefe und mobilisiert im Netz. „Es geht mir weniger um das Aufstellen der Uhr selbst als darum, eine öffentliche Debatte anzuzetteln“, sagt er. Um das ewige Totschweigen des Genozids im Namen des türkischen Nationalprojekts zu beenden, dürfe der Druck nicht nachlassen. Nina Apin

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