: Der Letzte zählt das Geld
SPD beendet mit der Nominierung von Thilo Sarrazin als Finanzsenator auf Kosten jeder Quote tagelanges Postenkarussell. Insgesamt kommen dem Senat zwei Frauen und ein Ossi abhanden
von SABINE AM ORDE
Der neue rot-rote Senat fängt für die Frauen und die Ossis in der SPD gar nicht gut an. Statt einer Finanzsenatorin nominierten die Sozialdemokraten gestern den ehemaligen Bahnmanger Thilo Sarrazin für den wohl wichtigsten Posten der neuen Landesregierung. Das bestätigte SPD-Parteichef Peter Strieder. Neben Sarrazin und dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit sollen die altbekannten Herren Strieder (Stadtentwicklung), Böger (Bildung) und Körting (Inneres) für die Sozialdemokraten in den Senat einziehen. Den Justizbereich soll künftig die derzeitige Justizministerin Sachsen-Anhalts, Karin Schubert, führen.
Damit hat die SPD keines der sechs Spitzenämter an einen Ossi vergeben, und nur eines an eine Frau. Die künftige Justizsenatorin ist zwar in Erfurt geboren und hat seit 1991 zunächst in Mecklenburg-Vorpommern, dann in Sachsen-Anhalt gearbeitet. Die Zeit dazwischen aber hat die 57-Jährige im Westen verbracht. Für Ralf Hillenberg, SPD-Kreisvorsitzender in Pankow und Verfechter Ostberliner Interessen in der Sozialdemokratie, reicht das nicht. „Für eine Ostbiografie ist nicht entscheidend, wo man geboren ist, sondern wo man gelebt hat“, so Hillenberg.
Der Durchmarsch der Westmänner wurden dennoch gestern Abend sowohl vom SPD-Landesvorstand als auch von der Fraktion mit deutlicher Mehrheit abgesegnet. Beide durften allerdings nur über das gesamte Personalpaket für den Senat abstimmen. Der Vorstand stimmte mit 21 zu 6 Stimmen dafür, bei einer Enthaltung. In der Fraktion fanden sich gar 38 Befürworter, 4 Abgeordnete lehnten die Personalriege ab, zwei enthielten sich.
SPD-Frauen hatten ursprünglich gefordert, bei der Nominierung eines Mannes für das Amt des Finanzsenators müsse einer der anderen Senatoren seinen Posten für eine Frau räumen. Parteiquellen streuten gestern, dass Wowereit in den vergangenen Tagen noch mit der ehemaligen Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing gesprochen habe. Zuvor hieß es aus der Senatskanzlei, Sarrazin stehe bereits seit Samstag fest. „Wir haben uns für Sarrazin entschieden, weil er ein ausgewiesener Kenner der Materie ist“, sagte Strieder gestern. Zugleich räumte er ein, dass man sich mehr Frauen in der Regierung hätte wünschen können.
Anders als bei der SPD gab es bei der PDS gestern keine Überraschungen mehr. Zwar hatte die künftige Senatorin für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz Heidi Knake-Werner erst am Morgen ihre endgültige Zusage gegeben. Doch die PDS-Spitzengremien hatten die Parlamentarische Geschäftsführerin ihrer Bundestagsfraktion bereits am Freitag vorgeschlagen. Die aus Bremen stammende 58-jährige Sozialwissenschaftlerin, die früher sowohl in der SPD als auch in der DKP aktiv war, hatte sich mit der Entscheidung schwer getan. Sie gebe ihr Amt im Bundestag nicht gerne auf, so Knake-Werner. „Ich stehe aber zu dem Projekt Rot-Rot in Berlin.“ Neben Knake-Werner werden PDS-Politstar Gregor Gysi als Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen und der ehemalige Baustadtrat von Mitte, Thomas Flierl, als Senator für Kultur, Wissenschaft und Forschung in den Senat einziehen. PDS-Landeschef Stefan Liebich bezeichnete alle drei Kandidaten gestern als „respektable Persönlichkeiten“.
Insgesamt sind auf dem Weg von Rot-Grün zu Rot-Rot dem neunköpfigen Senat also zwei Frauen und ein Regierungsmitglied mit Ostbiografie abhanden gekommen. Da werde der designierte Frauensenator Gysi noch eine Menge Überzeugungsarbeit bei seinen Kollegen leisten müssen, lästerte man gestern bereits im Abgeordentenhaus hinter vorgehaltener Hand.
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