: Der Leidtragende
Er steht für die Grünen. Er hat nie ein wichtiges Parteiamt bekleidet. Bis heute
von PATRIK SCHWARZ
Seit einiger Zeilt leidet Joschka Fischer. Er leidet lang, eindrucksvoll und öffentlich. Man muss nur in eine beliebige Nachrichtensendung zappen, um einen unglücklichen Joschka Fischer zu sehen. Während beim Kanzler das Grinsen umso breiter wird, je länger seine Amtszeit währt, werden bei Fischer die Kummerfalten immer tiefer.
Was plagt den Mann?
Zum ersten Mal in der Geschichte grüner Parteitage stellt sich Joschka Fischer heute nachmittag zur Abstimmung für ein zentrales Amt. Dass er in den 16-köpfigen Parteirat gewählt wird, ist sicher. Aber nach 21 Monaten als Außenminister und Vizekanzler kehrt ein veränderter Mann in seine Partei zurück: Aus dem langjährigen Tausendsassa ist Joschka Dolorosus geworden –der Schmerzensreiche.
Fast könnte man die Leichenbittermiene für einen Ausdruck von Fischers berühmter Chuzpe halten. Die Überlegung ist natürlich lästerlich, unterstellt sie doch ein Leiden mit Effekt, jederzeit anwendbar auf die Partei, die Politik oder das Wetter. Andererseits lassen sich Grüne davon tatsächlich beeindrucken, denn ihnen gilt der Gestus des Opfers so verehrungswürdig wie den Katholiken. Und so wie bei katholischen Prozessionen oft eine Madonna mitgeführt wird, saß schon auf dem letzten Parteitag im März Joschka Fischer – fast unbewegt, meist teilnahmslos, aber zumindest heimlich von der Mehrheit verehrt. In Münster reicht das nicht – hier muss er die Delegierten für sich einnehmen.
Sein Amt als Außenminister hat ihn geprägt. Von ihm selbst stammt der Satz: Das Amt verändert den Menschen schneller als der Mensch das Amt.
Es gehört zu den Besonderheiten dieses Mannes, dass er im einen Moment sein Handeln und Dasein kritisch hinterfragt, nur um im nächsten Moment wieder einem hemmungslosen Narzissmus zu frönen. Auf diese Weise kokettiert er sogar mit seinem Leiden – am liebsten, indem er Partei und Presse wissen lässt, wie sehr ihn Partei und Presse quälen. „Was da geschrieben wird – der Patriarch will dies, der Patriarch entscheidet das – ist doch alles Käse. Es gibt keinen Patriarchen, der so oft durchgeprügelt worden ist in seinem Laden wie ich“, beschwerte er sich rechtzeitig zum letzten Parteitag im März.
Immer wieder in seiner zwanzigjährigen Affäre mit der grünen Partei wollte ihn diese an bestimmter, entscheidender Funktion verankert sehen, immer wieder hat er sich abrupt den Erwartungen verweigert.
Seine Kandidatur für den Parteirat dürfte ihm als weitere Pein erscheinen: auf die Begutachtung durch die Delegierten folgt die Benotung – bis auf Zehntelprozent genau. Gut denkbar, dass der heimliche Vorsitzende sich dabei wie ein Ackergaul vorkommt – das wäre dann ein Beispiel für Entfremdung. Schließlich werden sich auch andere Grüne zur Wahl stellen und vermutlich die damit verbundenen Auftritte und Abstimmungen als ebenso normal wie demokratisch empfinden. Egal, er wird es ertragen – und die Wahl annehmen.
Aber was für einen Joschka Fischer bekommt die Partei da zurück – nach seinen 21 Monaten als Vizekanzler und Außenminister?
Man kann Joschka Fischer vieles nachsagen, aber ein Hang zum Metaphysischen ist bei Deutschlands oberstem Realo für gewöhnlich nicht auszumachen. Doch wenn der deutsche Außenminister Vertrauten beschreibt, was die Macht mit ihm und seinen Kabinettskollegen angestellt hat in knapp zwei Jahren Rot-Grün, dann wählt er ein Bild, das nicht von dieser Welt ist. Ungeheuerlich seien die „Kraftlinien“, die durch den Kanzler und die Handvoll von Topministern (wie ihn selbst) liefen, erzählt er dann und beschwört ein Szenario von schier übermenschlichen Kräften herauf, die an jenen wenigen Deutschen zerren, die am großen Rad der Weltpolitik mitdrehen können. So eitel der Gestus des Weltenlenkers ist, so sehr verrät er die immense innere Anspannung, der sich Fischer ausgesetzt fühlt. Jede ungelesene Vorlagemappe kann den nächsten politischen GAU enthalten. Die zwei, drei größeren außenpolitischen Unglücke wie die Genehmigung von AKW-Krediten für China und die Zustimmung zum Export eines Testpanzers in die Türkei, so ein Fischer-Vertrauter im Auswärtigen Amt, seien so entstanden: Als die Leitungsebene die politischen Fehleinschätzungen der Beamten bemerkte, war es schon zu spät.
Die Zermürbung des Ministers im Apparat ist schleichend, aber nachhaltig. Fischer macht kein Geheimnis daraus, oder jedenfalls kein großes, dass er den Zenit seiner Kräfte und Fähigkeiten eher hinter als vor sich sieht. Die Phase, in der man im Amt eines internationalen Spitzenpolitikers besser wird, sei kurz, philosophiert er dann.
Vorerst kann Fischer immerhin noch staunen. So bestand die überraschendste Erfahrung seiner Amtszeit offenbar darin, wie wenig manche der für großartig erachteten „global players“ wirklich zu bewegen verstehen. Nato? Da ist von Fischer nur ein trockenes Auflachen zu hören. Politisch hatte er sich längst vom Feindbild der Kriegstreiber, der perfekt geölten Militärmaschine verabschiedet. An ihrer Größe, Macht und Perfektion hat er darum noch lange nicht gezweifelt. Das kam offenbar erst mit den Erfahrungen als Außenminister.
In manchen Momenten macht der Job als Außenminister der Bundesrepublik Deutschland sogar Fischer, den großen Zampano, ganz klein und bescheiden – so wenig hat er gelegentlich mitzureden. Und schon gar nicht in Fragen, in die die wirklichen Mächte mit ihren Interessen verwickelt sind. Das Raketenabwehrsystem der Vereinigten Staaten ist so ein Beispiel. Da ist man schon mutig als Außenminister, findet der Außenminister Fischer, wenn man überhaupt beansprucht mitzureden, so wie er und Gerhard Schröder es gelegentlich gegenüber „Bill und Madeleine“ tun. Und Joschka Fischer, der hochfahrend, schroff und verletzend sein kann, beschreibt in solchen Momenten einen Außenminister, dessen Einfluss weit geringer ist, als die Republik manchmal denkt.
Anders als zu Beginn seiner Arbeit schaut die Öffentlichkeit dem Minister inzwischen schärfer auf die Finger. Ob Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien oder Österreich-Boykott durch die EU – das Volk nimmt sich die Freiheit, mehr Ergebnisse sehen zu wollen, als der Minister für möglich hält. Dieser schätzt das gar nicht. Während Fischer den Sachzwang als maßgebliche Kraft der deutschen Außenpolitik entdeckte, sehnt sich die Öffentlichkeit nach mehr Entschlossenheit im Kampf gegen die Diktaturen. Sie schätzt lautstarke Proteste mehr als das sanfte Säuseln der Diplomatie.
Nun könnte sich rächen, dass sich Fischer bei der Regierungsbildung für das Auswärtige Amt entschieden hat. Für einen Politiker, der gern schnell Resultate sieht, ist es das falsche Ressort.
Warum also leidet Joschka Fischer? All die widerstrebenden Kräfte – die fremden Erwartungen und die eigenen Enttäuschungen, die Zerrissenheit in seinem Inneren und die Widersprüche im Auswärtigen Amt – zusammenzuhalten beugt Joschka Fischer. Und in späten Stunden lässt es ihn von „Kraftlinien“ sprechen.
Bei alledem ist der Bundesaußenminister authentisch, authentisch bis zur Brutalität, das ganze Gegenstück zum Fassadenmann Gerhard Schröder. Natürlich liebt er das Spiel mit Rollen, manchmal auch mit Masken. Trotzdem bleibt das Gesicht dahinter viel sichtbarer für Betrachter von außen, als ihm das selbst wohl bewusst, geschweige denn recht ist.
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