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Der Kampf um die KohleenergieDutzende riesiger Schornsteine

Nach dem Atomausstieg rückt der Konflikt um die Kohleenergie in den Mittelpunkt. 19 Kraftwerke werden derzeit gebaut, sie könnten bis 2050 Strom liefern. Brauchen wir alle?

Bis 2050 sollen die Schornsteine noch qualmen, wie hier im sächsischen Boxberg. Bild: dapd

BERLIN taz | Das Match ist ziemlich ausgeglichen. Leichter Vorteil für die Industrie. Aber die Umweltschützer lassen sich nicht unterkriegen.

Den aktuellen Spielstand dokumentiert eine Deutschlandkarte der Umweltorganisation Greenpeace. 15 Kohlekraftwerke sind darauf rot durchgestrichen und mit einem Schildchen verziert: "Bau verhindert". Die Symbole erfolgreichen Protests gegen den Bau neuer Kraftwerke markieren Lubmin an der Ostseeküste, Kiel, Emden, Herne in Nordrhein-Westfalen oder auch Germersheim am pfälzischen Oberrhein.

Kein schlechtes Ergebnis. Aber die Zahl der Kohleanlagen, die in Bau oder Planung sind, liegt höher. Sie beträgt Greenpeace zufolge 19. In Brunsbüttel an der Nordsee entstehen demnach gleich zwei große Kraftwerksblöcke, einer in Hamburg, weitere beispielsweise in Duisburg, Krefeld, Mannheim und Karlsruhe. So sieht der nächste Konflikt um die Energiepolitik aus: Wodurch sollen Atomkraftwerke, die die Bundesregierung bis 2022 abschalten lassen will, ersetzt werden? Folgt die Renaissance von Braun- und Steinkohle, einer Art der Krafterzeugung, die den Klimawandel noch beschleunigt?

Heute gebaut, Strom noch 40 Jahre

Kohlekraftwerke, die heute gebaut werden, können Strom bis 2050 produzieren. Dann aber soll der Kohlendioxid-Ausstoß in Deutschland selbst nach dem Willen der Bundesregierung nahe null sinken. Wie kann das funktionieren mit Dutzenden riesiger Schornsteine, die Millionen Tonnen Kohlendioxid in den Himmel blasen?

Auch das Umweltbundesamt (UBA) fragt sich das. Nach Recherchen des UBA sind gegenwärtig bundesweit sechs Kohleblöcke mit 5.305 Megawatt (MW) Leistung im Probebetrieb oder kurz davor. Bei weiteren sechs Blöcken laufen die Bauarbeiten noch (5.397 MW). Diese zwölf Anlagen werden alle ab etwa 2013 Strom liefern. In der Planungsphase sind außerdem sieben Kraftwerke mit nochmals 6.220 MW Leistung. Zieht man von diesem Zuwachs die möglichen Stilllegungen alter Kohlekraftwerke in der Größenordnung von 5.000 MW ab, bleibt eine zusätzliche Kohleleistung von etwa 12.000 MW. Zum Vergleich: Heute sind rund 48.000 MW aus Stein- und Braunkohle am Netz.

Deutschland braucht die Kapazitäten nicht

Der merkwürdige Umstand: Diese zusätzliche Kapazität zur Stromproduktion braucht Deutschland nicht. Schon heute besteht ein Überangebot an Elektrizität von gut 10.000 MW. Deswegen war es vor drei Monaten auch kein Problem, die acht alten Atomkraftwerke abzuschalten. Indem die Energieunternehmen 19 Kohlekraftwerke dazubauen, bringen sie die Kapazität wieder auf den Stand des alten Überangebots.

Damit aber nicht genug. Zusätzlich werden noch Gaskraftwerke mit einer Leistung von rund 9.000 MW errichtet, die deutlich umweltfreundlicher sind als Kohleanlagen. Und nicht zu vergessen: Bis 2020 möchte die Regierung den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion im Vergleich zu heute verdoppeln. Unter dem Strich sind deshalb neue Kohlekraftwerke schlicht überflüssig.

"Tagelange Flaute" schafft Unsicherheit

"Falsch", heißt es dazu beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Diese theoretische Rechnung verkenne die realen Bedingungen in der Stromproduktion. Zum Beispiel: Wenn tagelang Flaute herrsche, stünde die Windenergie nur unregelmäßig zur Verfügung. Die Kohlekraftwerke brauche man als stabile Basis und Reserve, um die naturbedingten Schwankungen der Ökoenergie auszugleichen. "Daher sind noch auf lange Sicht neue, effiziente Erdgas- und Kohlekraftwerke notwendig", sagt ein Sprecher des BDEW, "ohne diese neuen Kraftwerke ist der Umbau Richtung Erneuerbare nicht zu schaffen."

Das Umweltbundesamt teilt diese Einschätzung nur teilweise. In ihrem aktuellen Hintergrundpapier zur "Umstrukturierung der Stromversorgung in Deutschland" schreiben die Experten: "Es besteht kein Bedarf an zusätzlichen Kohlekraftwerken über die derzeit in Bau befindlichen Anlagen hinaus." Zumindest die sieben Kraftwerke, die heute noch im Planungsstadium sind, hält das UBA für überflüssig.

Der Emissionshandel deckelt den CO-Ausstoß

Wenn die Energieunternehmen unbedingt Kohleblöcke bauen wollen, könnte man sagen, sollen sie es doch tun. Schließlich drückt das Überangebot den Strompreis, worüber sich die Verbraucher freuen. Und die Klimabelastung muss auch nicht steigen. Schließlich gibt es den europaweiten Emissionshandel: Die Obergrenze des CO2-Ausstoßes auf dem Kontinent ist festgeschrieben und soll sinken. Brauchen die deutschen Kohlekraftwerke mehr Verschmutzungsrechte, müssen sie diese woanders teuer einkaufen. Mehr CO2-Ausstoß an einer Stelle wird durch geringere Emissionen in Spanien, Frankreich oder Holland ausgeglichen.

"Leider leben wir nicht in der besten aller Welten", sagt Thorben Becker vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND). Seine Befürchtung: "Die CO2-Obergrenze beim Emissionshandel wird politisch festgelegt." Wenn aber Dutzende neue Kohlekraftwerke in Deutschland Strom produzierten, steige später der Druck seitens der Unternehmen, den Kohlendioxid-Ausstoß weniger stark zu senken. Das Überangebot an Kohlestrom, das in den kommenden Jahren entsteht, würde sich dann noch in Jahrzehnten als größere Klimabelastung auswirken.

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15 Kommentare

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  • WS
    windstille Schnecke

    Und erneut ist ein Feinbild der Öko-Stalinisten im gespräch. Aber was machts denn schon ?

    Einfach noch mal ein paar 100.000 Windräder hinstellen und alles ist zufrieden. Notfalls wird halt mit Stromrationierung und Panzern der Roten-Öko-Armee nachgeholfen.

     

     

     

    @ Karlheinz:

     

    Korrekt, Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen.

  • S
    Spronti

    Der Emissionshandel begrenzt gar nichts, sondern exportiert die zusätzlichen CO2-Emissionen der neu zu bauenden fossilen Kraftwerke nur ins EU-Ausland.

     

    CO2-intensiv herzustellende Produkte werden dann nicht mehr hier produziert sondern importiert, genauso wie mehr Strom über die EU-Außengrenzen hereinfließen wird, nur um den CO2-Ausstoß innerhalb der EU nicht zu erhöhen.

  • P
    Pitti

    @ spital8katz und mole_muc

     

    Ihr habt beide Recht :-)

     

    Wasserdampf ist unsichtbar. Kann man sehr schön bei einem alten Teekessel erkennen. Wenn der pfeift, dann ist zwischen der Pfeife und dem Beginn der Wolke eine kleine Lücke. Bitte nicht reinfassen :-O

     

    Die Schwaden über den Kühltürmen sind also kondensierter Wasserdampf.

     

    Bei einigen modernen Kraftwerken wird das Rauchgas nach der Entschwefelung (gegen sauren Regen)tatsächlich in den Kühlturm geleitet. Das relativ kalte Rauchgas wird mit dem aufsteigenden warmen Luftstrom vermischt und nach oben gezogen. Dadurch wird der Schornstein überflüssig.

  • K
    Karlheinz

    Dank der deutschen Anti-Atom-Bewegung wedelt der Schwanz mit dem Hund und hat gewonnen. Glückwunsch !

    Die Konsequenz wird die dümmste denkbare Energiepolitik werden, die ein Industrieland machen kann.

    So nebenbei bemerkt: In Japan gab es 20.000 Tote durch eine Welle. Dass daran die AKW schuld sind, glaubt man nur in Deutschland, dank unseren Medien.

  • S
    spital8katz

    @ mole_muc:

     

    Bei aller Freundschaft, das ist WasserDAMPF.

     

    Kondensiertes Wasser ist solches, das sich bei der Kondensation von Dampf niederschlägt.

     

    @ tsaimath:

     

    Benennen Sie mal geeignete und von der Kapazität her dann auch ausreichende Pumpspeicherlokalitäten in Deutschland.

     

    Und beachten Sie mal den Widerstand, der sich einem geplanten Pumpspeicher im Südschwarzwald entgegenstellt.

     

    Und von wem der Widerstand wohl ausgeht?

  • V
    vic

    So sieht sie also aus, die hochgelobte Energiewende der Merkelpartei.

    Nun erscheint das Zögern der Opposition schon in einen freundlicheren Licht.

    Den Monopolisten wurde genommen, jetzt muss gegeben werden. Mindestens so lange, bis die sich die natürliche und naturfreundliche (was ist daran erneuerbar?) Energieversorgung erneut gesichert haben.

    Ich werde Atom-und Kohlefrei versorgt und dabei wird es bleiben. Und wenn ich dafür von einem Versorger zum nächsten hoppen muss.

  • H
    Hans

    Das CO2 (das der Mensch ausstößt) die Ursache für eine Klimaerwärmung ist das ist wissenschaftlich höchst umstritten das IPCC setzt sich für diese These ein aber das hat mit seriöser Wissenschaft nichts zu tun.

    Im Mittelalter gab es eine Warmperiode in der man in England Wein anbauen konnte auch Klimaoptimum genannt und da war die Natur noch in Ordnung.

    Das die Sonne was mit der Temperatur zu tun hat das ist ja leider zu abwegig *ironie*

    Auf der Seite von Spaceweather com kann man die Sonnenflecken aktivität gut verfolgen.

    Ich weis natürlich das viele Glauben wollen denn es hat sich schon längst eine CO2-Religion gebildet die jeden der daran zweifelt sofort kreuzigen wollen.

     

    Wie wäre es mal einen Klima/CO2 kritischen Artikel zu veröffentlichen ich würde es begrüßen.

  • HJ
    Hein Jo

    Laut einer fundierten wissenschaftlichen Studie von Jacobson und DeLucci ist technisch gesehen sogar weltweit schon 2030 eine vollständige Energierevolution möglich, vgl. http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0301421510008645

    und das, obwohl die Studie z.B. speziell Biomasse - v.a. wenn sie aus Ökologischer Land- und Forstwirtschaft kommt - in ihrem möglichen Beitrag am Mix vielleicht noch unterschätzt, so dass es noch umso einfacher wäre (auf jeden Fall gilt das, wenn der Konsum tierischer Nahrungsmittel in den Industrieländern stark sinken würde)

  • J
    Jule

    Weitere Informationen zum Thema sind zu finden auf der äußerst informativen Seite http://kohle-protest.de/ !

  • Z
    Zweifler

    Die besten Kohlekraftwerke, die im Bau sind, haben eine Effektivität von 42 %, Demnach werden 58% der Energie verjuxt. Das kann keine Alternative sein.

  • K
    Kraftwerker

    @mole_muc: Stimmt. Auf dem Foto ist auch ein entscheidender Fehler. Normalerweise werden Fotos mit weiß dampfenden Kühltürmen so fotografiert, daß die Sonne dahinter steht. Da sieht der Dampf richtig dunkel aus. Dann werden entsprechende Fotos veröffentlicht, wegen der Polemik.

     

    @Max:Wo habe Sie denn das her. Ich habe als Azubi im Braunkohletagebau angefangen. Alles durchlaufen.Stellwerker, Lokführer, Baggerfahrer und dann Schichtleiter. Dann ins Braunkohle-KW gewechselt. In Deutschland wird heimische Braunkohle verwendet und Steinkohle, inzwischen meist aus Polen. Von Toten ist mir nichts bekannt, außer mal ein Elektriker.

  • T
    tsaimath

    Auch die Behauptung durch die Unregelmäßigkeiten in der regenerativen Energie-Erzeugung bräuchte man Kraftwerke die fossile Brennstoffe verbrennen ist schlichtweg falsch. Wir haben inzwischen die Technologie Energie relativ Verlustfrei zu speichern (85% Wirkungsgrad) und dabei entstehen außer beim Bau keine Abfallstoffe (Atommüll oder CO2), wir müssten sie nur nutzen.

    Pumpspeicherkraftwerke sollten gebaut werden, dann kann man auch Flauten oder bewölkten Himmel ohne Probleme ausgleichen.

  • EA
    Enzo Aduro

    Kohle ist mittlerweile Sauber.

     

    Und es wird -wie beim Öl- sowiso jeder brocken Kohle verfeuert werden der gefördert wird.

     

    Globale Klimaabkommen haben doch alle versagt. Wir sind jetzt wieder hinter dem Stand von Kyoto. Weiter zu glauben globala Abkommen könnten etwas bewirken ist doch lächerlich. Europa wird da über den Tisch gezogen. Schon allein diese ganzen Zertifikate-Entwicklungshilfe kram. Das zahlt noch nicht mal in die Entwicklungshilfe!

     

    Da die Globale Politik versagt hat (leider) sollten wir lieber höhere Deiche bauen. Und Überflutungskanalsysteme gegen Unwetter. Wir können uns auf nationaler / europäischer Ebene den Folgen des Klimawandels stellen. Die anderen wollten nicht. Sollen Sie den Preis zahlen.

     

    PS: Unsere Braunkohle reicht noch Jahrhunderte. Und Elektroautos fahren auch mit Braunkohle. ICEs auch. Auf die Post-Öl-Zeit müssen wir uns ja sowieso einstellen.

  • M
    mole_muc

    ... bei aller Freundschaft - die Rauchschwaden aus den riesigen Schornsteinen sind keine Rauchschwaden ! Auf dem Bild ist kondensiertes Wasser aus Kühltürmen zu sehen.

  • MS
    Max s

    Durch Kohleenergie sterben jährlich tausende Menschen direkt (bei der Förderung) und hunderttausende indirekt (durch die Schadstoffe). Ich hätte es lieber gesehen, wenn Deutschland 2011 acht Kohlekraftwerke statt 8 AKWs abgeschaltet hätte. Aber auf der Linken stehe ich damit alleine, und auf der Rechten brauche ich damit gar nicht erst anfangen. Aber laut TAZ gibt es ja sowieso keine Probleme