Der Kampf der Yanomami: Überleben im Regenwald
Die Fondation Cartier zeigt das Lebenswerk der brasilianischen Künstlerin Claudia Andujar. Es ist der Rettung der indigenen Yanomami gewidmet.
A m 10. April starb Alvanei Xirixana, ein 15-jähriger Teenager, im Krankenhaus von Boa Vista an der Lungenkrankheit Covid-19. Er ist das erste Corona-Opfer unter den Yanomami, einer indigenen Volksgruppe im brasilianischen Amazonas-Gebiet, und der erste Corona-Todesfall nach einer Infizierung auf indigenem Gebiet. Das Virus könnte durch weiße Goldsucher in die Region eingeschleppt worden sein.
Sein Tod scheint dem Lebenswerk der Fotografin und Aktivistin Claudia Andujar Hohn zu sprechen, das der Rettung der Yanomami und ihrer Kultur gewidmet ist und das die Fondation Cartier in Paris in ihrer Ausstellung „La Lutte Yanomami“ zeigen wollte. Doch kaum eröffnet, musste sie aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen werden. Eine richtige, ein unabwendbare Entscheidung. Und trotzdem muss über die Ausstellung doch nachgedacht und geschrieben werden, denn sie ist absolut brisant.
Vieles von dem, was im Haus am Boulevard Raspail gezeigt wird, ist selbstverständlich inzwischen andernorts zu sehen. Schon mit Eröffnung der Schau hat die Fondation Cartier eine kleine Reihe von Podcasts mit Claudia Andujar, der Protagonistin der Ausstellung, ins Netz gestellt. Und nun gibt es auch den obligatorischen virtuellen Rundgang.
„La Lutte Yanomami“ läuft noch bis zum 10. Mai in der Fondation Cartier in Paris. Der Katalog zur Ausstellung kostet 40 Euro. Aufgrund der Schließung wegen der Coronapandemie öffnet die Fondation Cartier virtuell ihre Archive für die Besucher*innen.
Und sowieso sind auf Youtube Interviews und Gespräche mit der Fotografin finden, etwa der Clip des Goethe-Instituts anlässlich der Verleihung der Goethe Medaille 2018 an Claudia Andujar. Die Monografie zur Ausstellung des Frankfurter MMK „Claudia Andujar: Morgen darf nicht gestern sein“ von Susanne Gaensheimer, der Leiterin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, ist vor drei Jahren ist im Kerber Verlag erschienen.
Jair Bolsonaros Versprechen
Den Schock der Erkenntnis aber, jetzt durch den Tod im Schutzgebiet bestätigt, hält die Ausstellung bereit. Er hat nämlich seine ganz eigene Dramaturgie, ausgelöst durch den brasilianischen Staatspräsidenten Jair Bolsonaro, der in einem Video erscheint, das auf einem kleinen, scheinbar absichtslos in einer Ecke platzierten Monitor läuft.
Allerdings: man muss an ihm vorbei, auf dem Weg zu den Fotografien, die Claudia Andujar aufgenommen hat, um ihren Kampf für die Landrechte der Yanomami bildpolitisch zu unterfüttern.
Zuvor war man in das Alltagsleben der Yanomami eingetaucht, in das Leben der Familien und des Dorfes, wie auch in die spirituelle Welt der Amazonasbewohner. Diese wird in den Aufnahmen des reahu erfahrbar, eines Gemeinschaftsfests und Beerdigungsrituals, bei dem am Ende die Männer Halluzinogene und die näheren Verwandten der Verstorbenen deren Asche zu sich nehmen.
Claudia Andujar geht hier in ihren Aufnahmen stilistisch über das Dokumentarische hinaus, sie experimentiert mit der Fotografie, sie färbt die Aufnahmen ein und benutzt Filter, die verwunschene Lichteffekte herbeizaubern.
Das Ende der indigenen Landrechte
Auf derart wundersame Weise mit den Yanomami bekannt gemacht, beeindruckt von ihrer Schönheit, ihrem unwahrscheinlichen Leben im Urwald, kommt einem plötzlich dieser Bolsonaro in die Quere, der sagt, was ihn beträfe, so würde er dieser einseitigen Politik, indigenes Land auszuweisen und unter Schutz zu stellen, ein Ende bereiten, wo immer er könne. Dieser Satz bedeutet das Ende der Yanomami.
Gleichzeitig dräut das Ende aller Menschen. Denn mit seiner Politik, das gerade einigermaßen stabilisierte Amazonasbecken neuerlich der Ausbeutung zu öffnen, gehört Bolsonaro zu einer ganzen Riege populistischer Staatsmänner weltweit, die auf ähnliche Weise vollkommen verantwortungslos die Lebensgrundlagen der Menschheit zerstören.
Von Bolsonaros Kriegserklärung an die indigenen Völker Brasiliens muss man sich erst einmal erholen. Was den ganzen Ausstellungsparcour hindurch allerdings nicht mehr so recht gelingt. Claudia Andujar war eine bekannte, vielpublizierte Fotojournalistin, als sie 1971 im Regenwald des Amazonas, an der Grenze zwischen Brasilien und Venezuela, auf das Volk der Yanomami stieß, dem sie fortan ihr ganzes künstlerisches und politisches Engagement widmete.
Damals war es die Militärdiktatur, die das Amazonasgebiet zur Ausbeutung seiner Rohstoffe öffnete. Zu den wesentlichen Infrastrukturmaßnahmen gehörte der Bau einer großen Straße in den Dschungel, der Perimetral Norte, die das Land der Yanomami durchquerte. Die Menschen, die auf dieser Straße in den Urwald vordrangen, schleppten Krankheiten wie Masern, Grippe, Malaria und Tuberkulose ein, wogegen den Yanomami die Immunantwort fehlte.
Immer wieder kam es zu Epidemien, deren Bedeutung und Konsequenzen uns heute in der Situation der Corona-Pandemie wohl deutlicher vor Augen stehen als noch vor kurzem. Besonders gravierend stellte sich die Lage mit dem Goldrausch dar, der Ende der 1980er Jahre einsetzte und in dessen Gefolge innerhalb von nur sieben Jahren 20 Prozent der Yanomami starben. Heute zählt ihr Volk noch rund 35.000 Personen.
Der Genozid der Yanomami
Die von Claudia Andujar, dem französischen Anthropologen Bruce Albert und dem italienischen Missionar Carlo Zacquini 1978 gegründete Commisson Pro-Yanomami CCPY (ursprünglich Commission for the Creation of the Yanomami Parc) organisierte daraufhin 1989 die Ausstellung „Genozid der Yanomami: Tod in Brasilien“ in São Paulo, um gegen die Untätigkeit des brasilianischen Staates zu protestieren und internationale Aufmerksamkeit zu organisieren. 1992 endlich unterzeichnete der brasilianische Staatspräsident Collor de Mello die Ausweisung eines 96.000 Quadratkilometer großen Gebiets als Land der Yanomami.
Der Genozid ist Claudia Andujar bekannt. Denn sie ist eine Holocaustüberlebende. 1931 als Claudine Haas in Neuchâtel geboren, wächst sie im ungarisch-rumänischen Oradea (Nagyvárad) auf. 1944 gelingt ihr zusammen mit ihrer Schweizer Mutter die Flucht vor den Nationalsozialisten in die neutrale Alpenrepublik, während der jüdische Vater und seine Familie deportiert und ermordet werden. Ihren Einsatz für die Randständigen, Schwachen und Ausgeschlossenen führt Andujar auf diese Erfahrung zurück.
Die Fotografien im Untergeschoss der Fondation sind ein beeindruckendes Zeugnis dieses Engagements. Es beginnt mit einer großartigen schwarz-weißen Porträtserie, die sich vom Baby und der jungen Mutter über den jungen Mann bis zum zerfurchten Gesicht des Ältesten vorarbeitet. Dann folgen Zeichnungen, in denen die Yanomami ihre Ideen zu Natur und Kosmos darstellen, nachdem sie Claudia Andujar und Carlo Zacquini mit Papier und bunten Filzstiften bekannt gemacht hatten.
Die Zeichnungen zeigen Szenen des täglichen Lebens, der Rituale und der schamanistischen Reisen, aber ein wesentliches Motiv sind auch die Schwierigkeiten, denen sich die Schamanen angesichts von außen eingeschleppter Epidemien gegenübersehen. Aus diesem Projekt gingen Yanomami-Künstler wie Taniki, Ehuana oder Kalepi hervor, die das Begehren der Fondation Cartier als Sammler hervorriefen und dadurch zu derem weiteren langjährigen Engagement für den Kampf der Yanomami für Selbstbestimmung und Landrechte beitrugen.
Ganz unsentimental dokumentierte Claudia Andujar dann die zerstörerischen Begegnungen der weißen Zuwanderer mit den Yanomami, denen sie Straßen, Alkohol, Pornografie, giftige Chemikalien und tödliche Krankheiten mitbrachten. Dementsprechend initiierte Claudia Andujar mit Hilfe von CCPY in den 1980er Jahren Gesundheits-und Impfprogramme gegen Masern, Keuchhusten, Grippe und Tuberkulose und reiste mit zwei Medizinern durch das Yanomami-Gebiet.
Weil die Yanomami ihre Namen im Laufe ihres Lebens wechseln und diese Namen nicht in ihrer Gegenwart und der ihrer Verwandten ausgesprochen werden dürfen, wurde den Geimpften eine Nummer um den Hals gehängt und sie dann mit dieser Nummer fotografiert. So konnte die medizinische Versorgung der einzelnen Personen über die Jahre gesichert werden. Trotzdem war die Vergabe der Nummern für Claudia Andujar aufgrund ihrer Familiengeschichte ein schmerzlicher Vorgang.
Wie schmerzlich es aber für die heute 90-jährige Aktivistin sein muss, zu erleben, wie nun Jair Bolsonaro als Präsident der für den Schutz der Ureinwohner zuständigen Regierungsorganisation Funai einen für die Bekehrung der indigenen Völker berüchtigten Evangelikalen bestellt, mit seiner Politik also ganz bewusst und zielorientiert ihr Lebenswerk und das Werk von CCPY und anderen NGOs zerstört, ist gar nicht zu ermessen.
Der Widerstand der Yanomami und deren internationaler Freunde gegen die verbrecherische Politik der gegenwärtigen Regierung beantwortet diese mit dem brennenden Regenwald.
In dieser Zeitung schrieb erst kürzlich Milo Rau, der Schweizer Theaterregisseur und –autor, der mit der Landlosenbewegung ein Theaterprojekt im Amazonas betrieb, das Corona beendete, Bolsonaro setze darauf, dass dem Virus all jene zum Opfer fallen, die er für „überflüssig“ erachtet, als da sind Liberale, Schwule, Frauen und Arme, im Besonderen aber die indigenen Völker. Leider muss man davon ausgehen, dass das keine Übertreibung ist.
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