Ausstellung in Frankfurt/M.: Die Welt der Yanomami

Die Ureinwohner des Amazonasgebiets in Bildern: Eine Ausstellung zeigt das Lebenswerk der brasilianischen Künstlerin Claudia Andujar.

Ein Ausstellungsraum mit Bildern der Yanomami

Ausstellungsansicht im MMK in Frankfurt am Main 2017 Foto: Promo/Axel Schneider

Erstmalig in Europa präsentiert das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main eine umfassende Werkschau der 85-jährigen Fotografin Claudia Andujar. Besonders in Lateinamerika wurde die in São Paulo lebende Künstlerin durch ihre Fotografien der Yanomami bekannt, einer der größten indigenen Gruppen im Amazonasgebiet. 1998 und 2006 waren ihre Arbeiten auf der Bien­nale von São Paulo vertreten. Seit 2015 widmet das brasilianische Zentrum für Gegenwartskunst Inhotim Claudia An­du­jars Werk mit über 500 Exponaten einen eigenen Pavillon.

Die Ausstellung „Morgen darf nicht gestern sein“ zeigt nun in Frankfurt die vielfältigen fotografischen Arbeiten der Künstlerin und Aktivistin von 1960 bis heute.

1971 reiste Andujar im Auftrag der brasilianischen Zeitschrift Realidade in das Amazonasgebiet zu den Yanomami. Die Fotografin beschloss, bei ihnen zu bleiben. „Ich wusste, dass es mich einige Zeit kosten würde zu begreifen, wer sie waren. Ich wollte mit ihnen zusammen sein, um zu versuchen, sie zu verstehen. Es hat Jahre gedauert.“ In dieser Zeit entstanden ihre ersten eindrücklichen Por­träts der Yanomami – stets vor einem möglichst neutralen Hintergrund aufgenommen.

Die Frauen, Männer und Kinder auf diesen Schwarz-Weiß-Aufnahmen betrachten die Fotografin mit Offenheit. „Ich bin keine Anthropologin. Ich bin sehr intuitiv meinem Gefühl zu ihnen gefolgt“, erläutert die Fotografin im taz-Gespräch ihr Vorgehen und ergänzt: „Es ist schwierig zu sagen, wo das künstlerische Werk beginnt. Die Arbeiten sind aus dem Wunsch entstanden, diese Menschen zu verstehen und das zu zeigen. Ich bin Fotografin, das ist mein Medium.“

Den Lebensraum der Yanomami verteidigen

1974 begann die brasilianische Militärregierung mit einem groß angelegten Straßenbauprojekt, der „Perimetral Norte“, in das Territorium der dort abgeschieden lebenden indigenen Gruppen vorzudringen. Zusammen mit Bruce Albert und Carlo Zaquini gründete Claudia Andujar 1978 die Kommission Pro-Yanomami, um den durch Raubbau im Amazonas bedrohten Lebensraum der Yanomami zu verteidigen.

Die Frankfurter Ausstellung zeigt aus diesem Kontext die Serie „Marcados“ (dt.: Markierte). 87 Fotografien, die während einer von Andujar mitgetragenen Impfkampagne zwischen 1981 und 1983 entstanden, allerdings erst 2006 auf der Biennale in São Paulo veröffentlicht wurden. Die verstörenden und berührenden Aufnahmen Claudia Andujars zeigen die Bewohner jeweils einzeln, in gelassener Haltung und mit einer Nummer versehen.

Da die Yanomami keine Namen verwenden, behalf man sich damals notgedrungen mit nummerierten Porträts, um jeder Person einen Impfpass ausstellen zu können. Denn die Amazonasbewohner waren den durch Goldgräber eingeschleppten Krankheiten schutzlos ausgeliefert, starben an Grippe oder Masern.

„Meine Fotografie hat mit meiner Geschichte zu tun“

Durch ihre eigene Biografie war sich Andujar der problematischen Konnotation dieser Nummernmarkierung absolut bewusst: „Ich denke, dass meine künstlerische Arbeit, meine Fotografie sehr viel mit meiner Geschichte zu tun hat. Tatsächlich fühle ich eine Verbindung zwischen dem, was heute der indigenen Bevölkerung passiert, und dem, was mir und meiner Familie geschah.“

Claudia Andujar, 1931 im Schweizer Neuchâtel geboren, wuchs im ungarisch-rumänischen Oradea (Nagyvárad) auf. Ihr Vater sowie die gesamte jüdische Familie wurden während des Zweiten Weltkriegs in Konzentrationslager deportiert und ermordet. Claudia Andujar entkam 1944 mit der protestantischen Mutter in die Schweiz. Nachdem sie einige Jahre bei ihrem Onkel in New York verbracht hatte, folgte die junge Frau 1955 der inzwischen nach Brasilien ausgewanderten Mutter nach São Paulo.

Fotografin Claudia Andujar

„Ich fühle eine Verbindung zwischen dem, was der indigenen Bevölkerung passiert, und dem, was mir und meiner Familie geschah“

An der Stirnseite des spitz zulaufenden Hauptsaals im postmodernen Museumsbau in Frankfurt überrascht die großformatige Luftaufnahme einer aus dem dichten Urwald herausragenden Versammlungshütte. Auf der Fotografie von 1974 strahlt die üppige Vegetation in sattem Magenta durch Verwendung von Infrarotfilm. In der Mitte des Raums gruppierte die Kuratorin der Ausstellung, Carolin Köchling, digitale Fotografien, die während eines Treffens von Yanomami-Gruppen 2010 in Toototobi entstanden.

Diese Farbprints junger, ernst blickender Männer sind auf transparenten Glasflächen in Betonsockeln platziert – eine Referenz an Lina Bo Bardi. Die ita­lie­nisch-­brasi­lia­nischen Architektin hatte diese „Cavaletes“ (dt.: Staffeleien) als begehbares Ausstellungssystem für den von ihr entworfenen Neubau des Museu de Arte de São Paulo (MASP) 1968 konzipiert, einem Haus, dem auch Claudia Andujar freundschaftlich verbunden war.

Rückkehr mit dem VW-Käfer

Mit einer verregneten Ansicht eben dieses Museum beginnt Andujars Serie „Através do Fusca“ von 1979. „Nach einigen Jahren beschloss ich, zu den Yanomami zurückzukehren – nicht mit dem Flugzeug, sondern mit dem Auto, einem VW Käfer. Ich lebte damals wie heute an der Avenida Paulista, dort, wo sich auch das MASP befindet. Um aus der Stadt herauszukommen, muss man diese große Straße nehmen.“

Dreizehn Bildern dokumentieren durch das Autofenster gerahmt ihre dreiwöchige Reise und verbinden, was unvereinbar scheint – die Megametropole São Paulo mit dem Lebensraum der Yanomami im bevölkerungsärmsten Bundesstaat Roraima an der Grenze zu Venezuela.

Claudia Andujar in ihrer Ausstellung

Claudia Andujar: „Morgen darf nicht gestern sein“. Ausstellung mit Fotografien über die Yanomami, Ureinwohner im brasilianischen Amazonasgebiet. Frankfurt am Main, Museum für Moderne Kunst. Bis 25.6.2017.

Eine Schwarz-Weiß-Serie aus dem Archiv der Fotografin schließt den Kreis der Ausstellung und wirft einen ernüchternden Blick auf die brasilianische Gegenwart. 1964 dokumentierte Andujar in „Marcha da Família com Deus pela Liberdade“ (dt.: „Marsch der Familie mit Gott für die Freiheit“) die Proteste konservativer Brasilianer gegen die So­zial­re­for­men der Regierung Goulart – nur wenige Tage vor dem Militärputsch.

Fünfzig Jahre später protestierten auf dieser Straße in São Paulo die Gegner, der inzwischen wegen Korruptionsvorwürfen abgesetzten Präsidentin Dilma Rousseff. Die aktuellen Entwicklungen stimmen Andujar nicht zuversichtlich: „Die Yanomami sind nur eine von vielen indigenen Gruppen im Amazonas. Das heutige Interesse für die Region jedoch ist mehr denn je von Ausbeutung und Bereicherung geprägt.“

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