■ SPD: Trotz Raus Abtritt steht der Generationswechsel noch aus: Der Kaiser ist alt
Es ist die Zeit der magischen Zahlen: Fünf Mark fürs Benzin, 5.000 Punkte, die Rekordmarke, der der Deutsche Aktienindex gerade entgegenfliegt, und nun auch noch 57. Das soll das Alter sein, das laut SPD den Generationswechsel bringt. Es ist das Alter von Raus Nachfolger in Nordrhein-Westfalen, von Wolfgang Clement. Die Medien sprechen schon von einem Muster für den Wechsel in Bonn, wo Gerhard Schröder (54) Kanzler Kohl (68) ablösen soll. Nur, was hat das mit einem Generationswechsel zu tun?
Es ist noch kein Jahr her, daß ein „Jugendparteitag“ der SPD den Beschluß „30 unter 40“ faßte. Unter 40jährige sollen in den Bundestag, forderten die rosa Grünlinge, um die Vergreisung der ältesten deutschen Partei zu stoppen. Was soll diese Generation denken, die vor 10 bis 20 Jahren ihr Zuhause verlassen hat, um jetzt festzustellen, daß sie nach dem „Generationswechsel“ wieder von ihrer Elterngeneration beherrscht wird.
Mit der Übergabe des Staffelstabes von Johannes Rau an Wolfgang Clement in Nordrhein-Westfalen ist die Idee, Politik zu verjüngen, ad acta gelegt. Bruder Johannes (67) übergibt sein Amt an einen Mann, der rüstig auf die Rente zuschreitet. In Wirklichkeit wird da kein Staffelstab übergeben, sondern der Gehstock. Die Inszenierung des Wechsels von Rau zu Clement hat einen Schleier über die Tatsache gelegt, daß in Nordrhein-Westfalen kein Generationswechsel stattfindet, sondern sich vor aller Augen ein simples old boys network verwirklicht.
Schon die Form der Machtübergabe spricht Bände. Beinahe jeder Winkelzug wird zur Staatsaktion hochstilisiert. Die viele Macht in NRW! Die absolute Mehrheit! Die Koalition mit den Grünen! Und am Ende ist kaum etwas passiert, außer daß der neue Chef nicht viel weniger betagt ist als sein Vorgänger. Der Kaiser ist alt! Bloß will es im Windschatten von Schröders Wahltriumph keiner wahrhaben.
Der jüngeren Generation reicht Wohlstand längst nicht mehr: Ihr geht es um den sicheren Job – aber mit einer guten Ausbildung; sie wollen Karriere machen – aber dies mit der Familie vereinbaren; sie finden Wirtschaft wichtig – wenn sie mit der Umwelt versöhnt wird. Bei Clement und Schröder reduzieren sich diese Spannungsfelder auf Wirtschaft, nochmals Wirtschaft und die Anbetung des Aktienkurses.
Das Leitmotiv einer Reformregierung müßte „Zukunftsfähigkeit“ heißen. Doch die beiden wichtigsten Themen, Ökologie und Bildung, kommen bei Schröder und Clement nur als Worthülsen vor – ohne eigenen Wert. Sie sind strikt den Anforderungen der Globalisierung unterworfen. Und nur in diesem Sinne sind die beiden Politiker „Machertypen“. So werden zwar Clement nicht zu Unrecht Verdienste beim Strukturwandel in NRW nachgesagt. Garzweiler II ist sicher das Gegenteil davon, umweltzerstörend ist es sowieso. Und viel zu oft war Clements moderne Medienpolitik bloß Schützhilfe für Bertelsmann, denen er den erlaubten TV-Marktanteil auf den Leib maßschneiderte. Ist das der Generationswechsel?
Von einem wirklichen Generationswechsel war in der SPD schon mal die Rede, von den Brandt-Enkeln. Doch das ist zehn Jahre her. Das Politische an ihrem Anspruch ist auf dem Weg zur Macht irgendwo liegengeblieben. So erleben wir dieses Jahr keinen Wechsel der Generationen. Es ist mehr die verspätete Ankunft einer Generation, der die Machtübernahme vor zehn Jahren durch den Zerfall der DDR verweigert wurde. Die Wiedervereinigung versenkte alle Hoffnungen der Brandt-Enkel auf ein Bündnis links von der Mitte. Nun geht es nur noch darum, den Kanzler wegzukriegen, und das mit seinen eigenen Mitteln. Nur dieses Ziel vereint Schröder und Lafontaine.
So schickt die Generation der Achtundsechziger, die gegen das Primat der Wirtschaft für das Politische kämpfte, ausgerechnet Leute wie Auto-Schröder und Fernseh-Clement an die Macht. Zwei, die inhaltlich nicht festzunageln sind. Schröder mit einem Bundestagswahlprogramm, das voller „wollen“ steckt und im ganzen unter „striktem Finanzierungsvorbehalt“ steht. Alles andere könnte ja den Weg zur Macht gefährden, siehe die Grünen und der Spritpreis. Doch ohne Programm und Visionen werden aus Politikern Apparatschiks. Christian Füller/Matthias Urbach
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