piwik no script img

Der Journalist, der keiner sein will

Larry King ist der bekannteste Talkmaster der Welt. Seine professionellen Grundsätze sind so dehnbar wie seine Hosenträger. Seit dem 11. September sind Popstars verboten, dafür geben sich jetzt auch Kanzler und Premierminister aus Europa die Ehre

Kritische Fragen kommen nichtvon King, sondernvon den AnrufernEine Einladung in seine Show ist der Ritterschlag der großen Politik

von TOBIAS MOORSTEDT

Gerhard Schröder war sichtlich nervös. Es blickt einem ja nicht jeden Tag die ganze Welt ins Gesicht. Es war des Kanzlers erster Auftritt bei der CNN-Talkshow „Larry King Live“. Und vielleicht dachte Schröder ja an all die Millionen, ach was, x Millionen Zuschauer in 130 Ländern, und drückte deshalb das Kreuz so weit durch, streckte die Arme steif nach unten und reckte das Kinn nach oben; vollführte die Verrenkungen, die man gemeinhin unter dem Begriff „staatsmännische Haltung“ zusammenfasst. Jedenfalls, wenn sie vor einer gut sortierten Bücherwand stattfinden.

Seit 1985 befragt Larry King jede Nacht in einer wilden Mischung die Reichen, die Mächtigen und die Berühmten dieses Planeten. Popikone Madonna und Expräsident Clinton in einer Sendung? In fünf Minuten? Für den 68-Jährigen kein Problem. Doch seit dem 11. September gibt es selbst für einen so universell interessierten Mann wie Larry King nur noch ein Thema. „America Under Attac“, „Americas New War“ und „The Anthrax Scare“ – kein Popstar fand mehr den Weg in die Sendung. Nur Larry King blieb wie immer.

Eine Einladung in seine Show ist der Ritterschlag der internationalen Politik. Hier trifft sich seit dem 11. September fast der komplette US-Senat, das gesamte Bush-Kabinett sowie eine Armada von Experten zur Erörterung der aktuellen Weltlage. Prominentester Gast nach Schröder war in der vergangenen Woche Großbritanniens Premierminister Tony Blair, der die Bücherwand gegen eine gediegene Wohnzimmeratmosphäre getauscht hatte – und anders als der deutsche Kanzler deutlich entspannter wirkte. Kein Wunder, er war ja schon häufiger bei Larry King, und so klang dessen „Always nice having you, Prime Minister“ schon fast kumpelhaft-familiär.

Von den Fragen, die Zuschauer aus der ganzen Welt normalerweise während der Sendung – übrigens das quotenstärkste Format bei CNN – per Telefon stellen können, bleiben die Staatsmänner meist verschont, dennoch entsteht der Eindruck, „Larry King Live“ sei das ideale Forum zur globalen Meinungsbildung. Dumm nur, dass Kings journalistische Grundsätze so dehnbar sind wie sein berühmtes Markenzeichen: die Hosenträger.

Als George W. Bush im Januar 2001 endlich den Amtseid schwören durfte, hielt ausgerechnet der CNN-Mitarbeiter King die Laudatio auf den Texaner und fiel dem frisch gebackenen Weltenlenker nach vollbrachter Arbeit um den Hals. „Das freundlichste Mikrofon in Washington“ wird King in der US-Hauptstadt auch genannt. Seine Fragen sind für ihre Harmlosigkeit bekannt.

Amerikanischer als Larry King sind nur wenige. Er lebt geradezu den amerikanischen Traum.

Geboren wurde der heute bestverdienende Talkmaster der Welt als Larry Zeiger im New Yorker Stadtteil Brooklyn als Sohn ukrainischer Einwanderer. Kurz vor dem Abschluss verließ King die High School und plante seine Karriere im Radiogeschäft. Erster Schritt: Mit neunzehn Jahren, so will es die Legende, stand Larry Zeiger an einer New Yorker Straßenecke und kommentierte den Verkehr. Zweiter Schritt: Zeiger zog nach Florida und arbeitete bei einem lokalen Radiosender als Fensterputzer. Dritter Schritt: Zeiger sprang kurzfristig für einen erkrankten DJ ein, produzierte seine erste Talkshow und nannte sich forthin King. Die Sendung wurde ein großer Erfolg und King im Laufe der Jahre zum „meistgehörten Talkmaster der Radiogeschichte“.

Doch trotz seines Erfolges hat King seine Herkunft nicht vergessen. „Ich bin kein Journalist“, sagt King immer wieder in Interviews. „Ich bin ein Mann von der Straße. Ich weiß, was der Bürger wissen will. Mir geht es nicht darum, Politiker mit komplizierten Fangfragen in einen Hinterhalt zu locken. Ich will mich ganz normal und anspruchslos mit ihnen unterhalten.“

Das hörte sich im Gespräch mit Tony Blair dann folgendermaßen an: „Herr Premierminister, Sie haben auch kleine Kinder. Werden sie in einer sicheren Welt aufwachsen? Wie wird es jetzt weitergehen?“ – Für Politiker sind solche Fragen keine Herausforderung, sondern ein Steilpass zur Selbstdarstellung.

King ficht das nicht an. Er glaubt an die mediale Basisdemokratie. Denn schlägt es in Washington neun Uhr abends, dann schrumpft die Welt dank Satellitentechnik auf 20 Quadratmeter Studiofläche in Washington zusammen. Es ist drei Uhr nachts in Berlin, zwei Uhr in London, fünf Uhr in Moskau, zehn Uhr in Hongkong, und überall erscheint der kleine Junge aus Brooklyn auf dem Bildschirm. Die Arme fest verschränkt, starrt King durch riesige Brillengläser in die Kamera. Wie ein alter Uhu, der in all den Jahren jedoch nicht weise geworden ist. King sagt selbst: „Ich bin kein Intellektueller.“ Die kritischsten Fragen kommen deshalb auch nicht von ihm, sondern von den Anrufern. Die Welt sei so klein geworden, lautet eine von Kings gewagteren Thesen, dass ein Hitler heute nicht mehr möglich wäre: Denn auch er wäre natürlich bei „Larry King Live“, Zuschauer aus aller Welt würden ihm Fragen stellen, und er müsste verdammt gute Gründe haben, um seinen Einmarsch in Polen zu erklären.

Der berühmteste Journalist der Welt will also gar keiner sein. Und das sei auch gut so, wird King zitiert, denn das „Gespür für die richtige Story“ gehe ihm „völlig ab“. Als 1992 halb Amerika live an der Stoßstange von O.J. Simpsons weißem Buick klebte, dachte er, die Geschichte „sei in drei Tagen wieder vorbei“. Es wurde der spektakulärste Prozess der US-Justizgeschichte.

Manchmal hat man den Eindruck, dass sich der Polittalk-Riese seiner Macht gar nicht bewusst ist – oder sich nicht mit ihr beschäftigen will. Eine Macht, die der ehemalige Präsidentschaftskandidat der Republikaner, Bob Dole, so umschrieb: „Der Weg ins Weiße Haus führt durch das Studio von Larry King.“

Nach 40 Jahren im Mediengeschäft und 40.000 Interviews ist King heute auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Eine Karriere, die nicht ohne Rückschläge verlief. In den 70ern spiel- und alkoholsüchtig, musste er diverse Anklagen wegen Finanzmanipulationen überstehen. Auch im Privatleben forderte der stressige Job immer wieder seinen Tribut: zwei Bypassoperationen und sechs Scheidungen.

Sich selbst ist King dabei immer treu geblieben. Und noch immer will er vor der Sendung gar nicht wissen, wer seine Gäste sind. Denn ihm ist gleich, ob er über den neuesten Parteispendenskandal der Demokraten oder über den Geburtsvorbereitungskurs von Madonna redet. Eine Information ist eine Information. Und vielleicht ist King ja der ideale Talkmaster für eine Gesellschaft, die an nichts mehr glaubt, sondern nur für den Moment lebt. Eine Gesellschaft, die Informationen frisst, verdaut, ausspuckt und schon wieder vergessen hat.

Gerhard Schröder spielte das King’sche Spiel übrigens ganz hervorragend mit. Er lobte Präsident Bush und nahm die sehr, sehr grundsätzlichen Fragen sehr, sehr ernst: „Sind Sie auch in Ihrem Land voller Sorge über Terroristen?“ – „Ja, Larry, sind wir.“

„Wisst ihr, warum ich nicht mehr auf euch angewiesen bin?“, fragte Expräsident Bill Clinton 1993 eine Hand voll politischer Journalisten. „Weil Larry King mir die Freiheit zurückgegeben hat, direkt zum amerikanischen Volk zu sprechen.“ King sagt von sich selbst, er habe den journalistischen Filter zwischen Politik und Volk entfernt. Entfernt hat er allerdings auch den Filter für politische Lügen, Halbwahrheiten und banale Werbesprüche.

Larry King ist eben anders als der Rest der Journaille. Irgendwann im Interview bemerkte das auch Gerhard Schröder. Und so gelang ihm wenigstens ein betont lässiger Abschied: „Vielen Dank, Larry. Bis zum nächsten Mal.“ Vor Larry King muss man keine Angst haben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen