Der Journalist Claudius Seidl über das ZDF: "Ich dachte, ZDF sei ein Kulturkanal"
"FAS"-Feuilletonist Claudius Seidl über seine Kandidatur als ZDF-Intendant, Selbstreflexion des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und Strukturfehler der Spartenkanäle.
taz: Herr Seidl, vor drei Wochen haben Sie sich mit einem Bewerbungsschreiben in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung für die ZDF-Intendanz ins Gespräch gebracht. Sie bleiben bei Ihrer Kandidatur?
Claudius Seidl: Selbstverständlich. Warum sollte ich zurückziehen? Es wird eher immer notwendiger.
Die Reaktionen aus den Medien waren zahlreich, bei Facebook zählt Ihre //www.facebook.com/pages/Claudius-Seidl-als-ZDF-Intendant/209471512417454?sk=wall:Unterstützerseite mittlerweile fast 2.400 Fans. Hat Sie die große Resonanz auf Ihre Bewerbung überrascht?
Die hat mich tatsächlich überrascht. Der Artikel war durchaus ernstgemeint in seinem argumentativen Kern, aber in der Form der Glosse und nicht als bedeutender Leitartikel. Erst kamen positive Reaktionen aus dem Bekannten- und Freundeskreis, später habe ich über die Kolumne vom Georg Diez bei Spiegel Online von der Facebook-Gruppe erfahren.
Erst habe ich mich ein bisschen geziert, dann aber gedacht: Dann nehmen wir den ernsten Kern tatsächlich ein bisschen ernst. Und betreiben es mit einer gewissen Aggressivität.
CLAUDIUS SEIDL, geboren 1959, Studium der Theater- und Politikwissenschaft sowie der Volkswirtschaftslehre in München, war Redakteur für populäre Kultur beim Spiegel, stellvertretender Feuilletonchef bei der SZ und ist seit 2001 Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Er schrieb mehrere Bücher, unter anderem "Schöne junge Welt: Warum wir nicht mehr älter werden" (Goldmann).
Am 17. Juni wird der neue ZDF-Intendant vom ZDF-Fernsehrat gewählt. Kandidat für die Nachfolge von Markus Schächter kann nur werden, wer von einem der 77 Fernsehräte vorgeschlagen wird. Diese Voraussetzung hat bisher nur der aktuelle Programmdirektor Thomas Bellut erfüllt, dessen Wahl als sicher gilt.
Was würden sie denn besser machen als der designierte Kandidat Thomas Bellut?
Es scheint mir die Aufgabe des nächsten ZDF-Intendanten zu sein, weniger im Dienst des Apparats als im Dienste des Gebührenzahlers und des Zuschauers zu stehen. Das öffentlich-rechtliche System ist scheinbar unfähig geworden sich selber zu betrachten und sich selber in Frage zu stellen. Qualitätsdebatten lassen sich leicht vom Apparat zurückweisen mit der Argumentation, man müsse etwas für die große Mehrheit tun.
Dabei braucht es Qualitäts- und Geschmackskriterien gar nicht, sondern die Frage, was gibt es auch umsonst, scheint mir evident zu sein. Warum ich jetzt für die Champions League zahlen muss, kann mir keiner erklären. Die tägliche Telenovelas gibt es auch bei den Privaten, dafür muss ich dem Volk nicht Gebühren abnehmen. Es gibt die Öffentlich-Rechtlichen dafür, dass sie ein Programm machen, was sich allein unter Marktbedingungen – werbefinanziert – nicht machen lässt.
Über ihren Konkurrenten Thomas Bellut heißt es, dass er die Verjüngung des Programms massiv vorantreiben wird. Der neue Digitalkanal ZDF.Kultur lässt auf allerhand kommende Innovationen hoffen. Eigentlich müssten sie diese Aspekte doch befürworten können?
Wieso eigentlich ein ZDF-Kulturkanal? Ich dachte, das ZDF sei ein Kulturkanal. Mein Vorgänger (Markus Schächter, amtierender Intendant, Anm. der Redaktion) hat zum Start des Kulturkanals gesagt, hier würden endlich Pop- und Hochkultur versöhnt. Das zeigt endgültig, dass das ZDF ein Seniorensender ist. Nur sehr alte Leute können sich daran erinnern, dass die mal im Streit miteinander lagen.
Gerade das Programm, das den öffentlich-rechtlichen Auftrag erfüllt auf abgelegene Spartenkanäle auszulagern, scheint mir einer der Grundfehler zu sein. Seit es Arte gibt, kommt Frankreich im Hauptprogramm nicht mehr vor. Nichts war so schlecht für das deutsch-französische Verhältnis wie die Gründung von Arte. Nichts war so schlecht für die Durchsetzung guter amerikanischer Serien wie die Gründung von ZDFneo.
Darin scheint mir ein Kernproblem zu liegen, dass man die Spartenkanäle als Legitimation dafür nutzt, das eigentliche Hauptprogramm verludern und verkommen zu lassen.
Womit erklären sie sich, dass die gebührenzahlende Bevölkerung so wenig Interesse daran hat, was auf öffentlich-rechtlicher Seite passiert?
Einerseits ist das ein Kennzeichen der Irrelevanz in welche sich das Fernsehen selber hineinbugsiert hat. Für meine politische Willensbildung sind ARD und ZDF nicht wichtig genug. Andererseits brauchen die Leute einen Weckruf. In der Gesellschaft halt gerade wieder ein gewisser Common sense Einzug, nach dem Motto: deligiere nicht, was du selbst erledigen kann. Und das davon gerade das öffentlich-rechtliche System ausgenommen wird, wäre ein Anachronismus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter