Der Holocaust als universale Lektion: Mehr als ein Schandmal deutscher Geschichte

In Jad Vaschem diskutieren Pädagogen über kreativen Umgang mit Völkermord: Wie können Tutsi in Ruanda ihre Geschichte erzählen? Nützt ihnen das Wissen über die Shoah?

"Ein Bewusstsein dafür, dass Leid überwunden werden kann": Tutsi-Massengrab in Burundi Bild: reuters

JERUSALEM taz Sollen Jugendliche in Ruanda etwas über den von Nazideutschland verübten Holocaust lernen? Und wenn ja, warum und in welcher Form? Diesen Fragen gingen bis Donnerstag 700 Teilnehmer der dreitägigen Konferenz "Die Shoa lehren: Rassismus und Vorurteile bekämpfen" nach, zu der die Jerusalemer Gedenkstätte Jad Vaschem eingeladen hatte. Die Pädagogen im weitesten Sinn reisten aus über 50 Ländern an, darunter Südafrika, Korea und Serbien.

Das Erinnern an den Zweiten Weltkrieges in Serbien ist in der Vergangenheit auch von politischen Interessen beeinflusst gewesen, erklärt Jovan Culibrk, ein serbischer Priester. Während zuerst von "drei verschiedenen Genoziden die Rede war" - an den Sinti und Roma, den Juden und den Serben -, wurden "unter der sozialistischen Regierung später alle, ohne ethnische oder religiöse Unterschiede, zu Opfern des Faschismus". Nach Titos Tod sei dann die Verfolgung doch wieder als "extrem stark" gruppenspezifisch empfunden worden.

Der 43-jährige Priester leitete in Jerusalem eine Arbeitsgruppe zum Thema "Holocaust und Pop-Kultur". Das Thema des Völkermordes liegt ihm am Herzen, weil von 1933 bis 1945 335 Mitglieder seiner Familie in KZs umgebracht worden seien. "Was wir heute brauchen, sind kreative Ansätze", sagt Culibrk. Dabei ginge es vor allem darum, das Aufkommen von Ängsten zu vermeiden. "Angst war ein Grund dafür, dass wir in den 90er-Jahren wieder Krieg hatten."

Culibrks Workshop war einer von über 160 Arbeitsgruppen, die sich über Holocaust-Erziehung von Schülern mit muslimischem Hintergrund Gedanken machten, über die Nutzung von Anne Franks Tagebüchern zur Bekämpfung von Vorurteilen oder über den Unterricht in Ruanda, von wo regelmäßig junge Pädagogen nach Israel kommen.

"Die Tutsi wollen lernen, wie man die Geschichte erzählt und erinnert", erklärt Dorit Novak, Direktorin der "Internationalen Schule für Holocaust-Studien, Jad Vaschem". Dabei ginge es vor allem darum, "ein Bewusstsein für das Leid anderer zu schaffen und ein Bewusstsein dafür, dass Leid überwunden werden kann". Die Schoah am jüdischen Volk war, so räumt die Pädagogin ein, nicht der einzige Völkermord, "aber doch sehr extrem". Gerade deshalb eigne sich der Holocaust als Paradigma.

Auch in deutschen Klassen sitzen nicht selten Schüler, die "dramatische Schicksale mitbringen". An der Schule von Andreas Weinhold, Geschichtslehrer aus Krefeld und seit gut zehn Jahren Mitglied einer deutsch-israelischen Arbeitsgruppe zur Holocaust-Erziehung, "sind mehr als 30 Nationalitäten" vertreten. Da könne man nicht so tun, als habe man nur deutsche Schüler. Weinhold versucht die Schoah "nicht nur als Schandmal der deutschen Geschichte" darzustellen, sondern für seine aus Krisengebieten geflohenen Schüler "Identifikationsangebote zu schaffen". Dabei ginge es nicht um Vergleiche, sondern um Analogien. "Warum sollte man sich sonst mit dem Thema beschäftigen?", fragt Weinhold.

Gleichzeitig stößt der Krefelder Lehrer in seinem multikulturellen Umfeld mal auf Desinteresse, vor allem bei den aus der Türkei, Russland oder Nordafrika stammenden Schülern, mal sogar auf "schäumenden Antisemitismus und scharfe antizionistische Einstellungen". Da reiche es nicht, nur zu verurteilen, sondern man müsse "mit viel Arbeit" darauf eingehen. Mit dem in Jerusalem erarbeiteten Konzept des Holocaust als Paradigma für die "universale Lektion" sei jeder angesprochen, glaubt der engagierte Pädagoge. Umgekehrt sollten die Lehrer "hinhören, was die multiethnischen Lerngruppen einbringen können" und sich von den anderen Kulturen inspirieren lassen.

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