Der Herr der Bali-Dokumente: Shin Benayed, einer von 10.000
Die Klimakonferenz ist nicht mehr berechenbar, sagt Benayed, der Chef des Dokumentationszentrums. Das heisst für ihn: noch ein paar Millionen Blatt Papier bedrucken - und noch mehr Stress.
Vor dem heutigen Tag graust Shin Benayed. Nicht dass die letzten Tage frei von Stress gewesen wären. "Gestern hatte ich das Dokumentenzentrum zum Beispiel von 6 Uhr früh bis 4 Stunden nach Mitternacht geöffnet", sagt der 42-jährige Tunesier. Aber da sei die Klimakonferenz noch einigermaßen berechenbar gewesen. Das ist jetzt definitiv vorbei.
Das Dokumentenzentrum ist das technische Herzstück der Klimakonferenz. Einigen sich die Delegierten auf einen Vertragsentwurf, wird er an den UN-Sitz nach Genf übermittelt, um redigiert und in die sechs UN-Sprachen übersetzt zu werden - Russisch, Chinesisch, Französisch, Arabisch, Spanisch und Englisch. Spätestens sechs Stunden später bekommt Benayed die übersetzten Dokumente auf den Tisch. Jetzt werden sie vervielfältigt und den Delegationen wieder zugestellt. Die arbeiten dann in den Verhandlungsrunden am Entwurf weiter, der verfeinerte Entwurf geht wiederum zurück nach Genf. Die Schleife beginnt von neuem.
FCCC/SBSTA/2007/L.12 steht auf dem Blatt, das er gerade bearbeitet. "Jedes Dokument hat seine eigene Kennung", erklärt der Tunesier. Dabei hat jeder einzelne Verhandlungsstrang - in Nusa Dua sind es 14 - seinen eigenen Code. Vielleicht 100 Quadratmeter ist das Dokumentenzentrum groß, vollgestopft mit Regalen. Im Nachbarraum rotieren ein Duzend Kopierer, um die neuesten Verhandlungsergebnisse zu verbreiten. "Zwei Millionen Kopien haben wir bis jetzt gemacht, das heißt eine Million Blatt Papier bedruckt", sagt Shin Benayed. Natürlich auf umweltfreundlichem, ISO-14001-genormtem Papier.
Stocken die Verhandlungen heute - was Benayed für "sehr wahrscheinlich" hält - wird versucht, den Knoten in kleineren Arbeitsgruppen zu lösen. Deren Ergebnis ist ebenfalls ein Dokument, das nach Genf zum Ubersetzen geht. Danach ist wieder Shin Benayed mit seinem Team dran. "Es kann passieren, dass sich diese Schleife drei, neun, zwölf Mal wiederholt."
In jedem Fall würden die Delegierten seinem Team die Hölle heiß machen: "Wer zuerst die Papiere in der Hand hält, hat mehr Zeit, den Inhalt zu analysieren." Ob und wann die Konferenz zu Ende ist, wird der Tunesier auf sehr schliche Art merken: "Wenn die Kopierer stoppen." Dann wird er ausschlafen, zusammenpacken, nach Genf fahren - und die nächste UN-Konferenz vorbereiten. Zum Thema Welthandel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!