: Der Herbst des Fernsehens
Im September war noch vom „Qualitätsverlust“ die Rede, doch dann folgten goldene Monate. Beim Adolf Grimme Preis 2001 dominiert „fesselnd-nachdenkliches Bildungs-TV“, der WDR räumt ab, und Guido Knopp ward schon im Vorfeld ausgebremst
von GITTA DÜPERTHAL
Ganz so undramatisch, wie man es sich gemeinhin bei Grimme vorstellt, geht es bei der Fernsehpreis-Diskussion nicht immer zu. Selbst wenn letztlich doch noch recht solide Fernsehqualität ausgezeichnet wird. Viel Überzeugungsarbeit musste dieses Jahr schon im Vorfeld geleistet werden, bis Hans-Christoph Blumenbergs „Deutschlandspiel“, dieses Wiedervereinigungs-Jubelstück aus der ZDF-Redaktion Zeitgeschichte unter Guido Knopp, endlich herausflog. Dazu musste dann doch Klartext gesprochen werden: Ein Redakteur, den Gerhard Freys Deutsche Nationalzeitung April letzten Jahres noch freudig mit „Willkommen im Club, Guido Knopp“ begrüßte, ist nicht Grimme-Preis-würdig.
Manchmal besteht die eigentliche Kunst darin, zu verhindern, dass etwas ausgezeichnet wird. Und wer sagt es denn: Jetzt glänzt bei der 37. Grimme-Preis-Verleihung einiges mit Gold, was sich sehen lassen kann. Mit zwei Gold-Verleihungen liegt der Dokumentarfilm an der Spitze: Eyal Sivans „Ein Spezialist“ habe den Eichmann-Prozess „bis zur Kenntlichkeit komprimiert“, heißt es in der Begründung. In seiner modernen Machart hole die WDR-Doku das Vergangene ins Heute, zeige die Normalität der NS-Mörder. Doku-Gold gibt es auch für Thomas Giefers Film über Patrice Lumumba, „Politische Morde: Mord im Kolonialstil“, den ebenfalls der WDR produziert hat.
Auch in der Abteilung Fiktion gab es WDR-Gold, das nicht nur an der Oberfläche glänzt: „Die Polizistin“ (Buch: Laila Stieler und Regie Andreas Dresen) bietet Zeit- und Sozialkritik auf unkonventionelle Weise, aber auch individuelle Sehnsuchtswelten und Alltagsdesaster. Kurz: Was das Gold angeht, so wurde es dieses Jahr für fesselndes Bildungsfernsehen, das sich politisch im besten Sinne einmischt, und für nachdenklich stimmende, anspruchsvolle Unterhaltung – und allesamt an den WDR – vergeben.
Ob es allerdings eine wirklich innovative Lösung war, Hans W. Geißendörfers „Lindenstraße“ mit Spezial-Gold auszuzeichnen, darf bezweifelt werden. Gelästert wurde über die Serie hinreichend, Fans hat sie auch genug, gesagt ist wirklich alles zum Thema – wozu also noch Grimme-Gold hinterher schleudern? Von „Langlebigkeit“ und „sich nicht entmutigen lassen“ ist in der Begründung der Jury die Rede: Ein Durchhaltepreis für Traditions-Fernsehen. Schade.
Erfrischend wäre etwa gewesen, Jung-Emanze Charlotte Roche für ihre wilden Assoziationsketten in der Viva-Musiksendung „Fast-Forward“ zu ehren, in denen bisweilen gar das Wort „Kapitalismus“ in kritischer Absicht auftaucht (siehe taz vom 19. 2.). Aber die junge Dame muss wohl doch erst altern oder zumindest eine Geschlechtsumwandlung angehen, um vor gesetzten Juroren bestehen zu können. Und dann bitte schön: Nicht so schräg. Oder? Da geht man doch lieber auf Nummer Sicher. Immerhin: Nominiert war sie ja.
Doch sage ja keiner, die Jury habe prinzipiell kein Herz für junge Leute. Colin Luke, Adam Alexander und T. Celal müssen den Spezial-Preis offenbar für ihre geniale Idee bekommen haben, junge europäische Filmemacher ihrer Autorenrechte zu berauben: „Mein Gott, Europa“ heißt denn auch die prämierte Arte-Serie sehr passend. Der Berliner Vertragsanwalt der „ag.dok“ (Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm), Christlieb Klages, formulierte die Botschaft, die hinter solch konzeptionellem Vorgehen steckt, so: „Ihr seid für uns kleine Schnösel, die wir mit der Kamera auf die Straße schicken – ihr gebt uns das Material, wir machen damit, was wir wollen.“ Die Grimme-Jury drückt das vornehmer aus: „In bewusster Abkehr vom Modell des Autorenfilms wurden die einzelnen Beiträge ... von einem Regisseur (Colin Luke) komprimiert und geschnitten, um das Material zu strukturieren“.
Die Jury Fiktion hat mit Dennis Gansels „Das Phantom“ (in der Hauptrolle: Jürgen Vogel) eine kraftvolle, wenig staatstragende Krimistory über den „Deutschen Herbst“ ausgezeichnet. Folgt man der Jury-Begründung, so muss dies allerdings eher trotz – nicht wegen – des gesellschaftskritischen Inhalts erfolgt sein. Angetan war man vielmehr vom „rasanten Tempo“ des „fulminanten Thrillers“ – dem Pro-7-Stück widerfährt übrigens als einzigem Privatfernseh-Beitrag in diesem Jahr die Gnade der Auszeichnung.
Und die Jury prämiert noch einen weiteren „poetischen Film über ein unpoetisches Thema“: Andreas Kleinerts „Wege in die Nacht“, eine ZDF-Produktion über verlorene Referenzen und fehlende Perspektiven. Fatih Akins „Kurz und schmerzlos“ (ebenfalls ZDF) wiederum soll uns drei Fremde „fast vertraut“ machen. Wir sollen verstehen dürfen, „warum sie glauben, so handeln zu müssen, wie sie es tun“, das findet die Jury positiv. Der Film handelt von einem Türken, einem Griechen und einem Serben, die – Vorurteil komm heraus, du bist umzingelt – kleinkriminell und gewalttätig sind. Gut, dass wir verstehen dürfen, warum das so sein muss!
Gitta Düperthal war Mitglied der Nominierungskommission „Fiktion und Unterhaltung“ beim Adolf Grimme Preis
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