Der Hausbesuch: Er gab ihr das Eis und sein Herz
In einem alten Bauernhaus in Brandenburg stellen die Belmontes 30 Eissorten her. Der Verkauf auf dem Land läuft anders als in der Stadt.
Eis macht glücklich. Möglicherweise sind die, die das Eis herstellen, deshalb auch glückliche Leute. Bei Luigi und Natia Belmonte wirkt es so.
Draußen: Ziegelsteinfassaden gibt es in Brusendorf, einem Brandenburger Dorf mit etwa 400 Einwohnern, viele. Neben der Eismanufaktur „Bel Gelato“, einem Treffpunkt für Genuss und Geselligkeit mitten im Ort, grasen zwei prächtige Pferde. In einer Ecke der Koppel liegt ein Heuballen, auf dem ein Plakat prangt: „Ohne Bauen keine Zukunft“.
Drinnen: Die Eismanufaktur gehört der Familie Belmonte, die seit Generationen Eis produziert – zunächst auf Sizilien, später in Berlin und Brandenburg. Das Geschäft befindet sich im Erdgeschoss eines alten Bauernhauses, wo Luigi Belmonte seine 30 Sorten Eis herstellt. An einer Wand hängen Fotos seines Vaters und Zeitungsausschnitte, auf denen Bauern mit ihren Pferden vor dem Haus stehen, um Eis zu kaufen. Im Obergeschoss des Hauses lebt die vierköpfige Familie Belmonte – Luigi, 55, seine Frau Natia, 45, und zwei Söhne. In der Mitte befindet sich ein kleiner Wohnraum, von dem aus die Zimmer, das Bad und die Küche abgehen. Alte Möbelstücke schmücken den Wohnraum: ein zweisitziges Sofa, ein kleiner Esstisch mit vier Stühlen, ein Klavier, auf dem Natia Belmonte nicht mehr spielt.
Von Sizilien nach Brandenburg: Luigis Eltern kamen Ende der 1960er Jahre nach Deutschland. In Sizilien verkauften schon sein Großvater und sein Vater Eis. Das Geschäft brachte Luigis Vater mit nach Berlin. Nach der Wende mieteten sie eine verlassene Scheune in Brusendorf und bauten sie um. „Anfangs fuhren wir mit dem Eisbus durch die Gegend und klingelten, um das Eis zu verkaufen“, erzählt Luigi. Im Jahr 2000 kaufte er den Hof für seine Familie. Nach der Corona-Pandemie richteten sie ein Eiscafé ein, das am Wochenende geöffnet ist. Heute steht die Nachbarschaft vor seiner Tür an für Vanilleeis und Espresso. „Die Deutschen essen viel Eis, Gott sei Dank“, sagt Natia. „Unser Geschäft läuft.“
Caramello: Die Belmontes liefern ihr Eis auch an Läden in Berlin. Im Stadtteil Friedrichshain betreibt Luigi Belmonte zudem seit 23 Jahren gemeinsam mit einem Geschäftspartner die beliebteste Eisdiele des Viertels, das „Caramello“. Luigi improvisiert mit den Sorten und passt sich dem Geschmack und den Trends an. „Wenn ich in Brandenburg veganes Eis anbiete, lachen mich meine Nachbarn aus“, sagt er. „Umgekehrt wird in Berlin veganes Eis und Eis mit wenig Zucker oft nachgefragt.“ Natia steht im Caramello hinter dem Tresen. Wer die Eisdiele kennt, kommt immer wieder zu Natia – nicht nur für Kaffee und Eis, sondern auch für ein nettes Gespräch. Sie kümmert sich um alle, erzählt Geschichten aus Georgien und gibt Buchtipps, denn sie liest viel.
Die Begegnung: Nach ihrem Studium der Kunstgeschichte in der georgischen Hauptstadt Tiflis kam Natia mit 22 Jahren als Au-pair-Mädchen nach Deutschland. „Die Sowjetunion war zusammengebrochen und Georgien hatte sich für unabhängig erklärt. Die 90er Jahre waren dunkel, kalt, ohne Perspektive für unser Land.“ Sie hoffte auf ein glücklicheres Leben in Berlin. „Hier war alles anders, auch die Eiskultur.“ Sie kannte nur sowjetisches Eis in Waffeltüten. Als sie 2004 zum ersten Mal das Caramello betrat, war das eine Entdeckung fürs Leben. Luigi verkaufte ihr nicht nur eine Eiskugel, sondern schenkte ihr auch sein Herz. „Ich habe sofort angenommen“, sagt Natia lachend.
Die Preise: „Ich arbeite gerne im Laden. Aber es ist ein hartes Geschäft“, sagt Natia. Und es ist immer noch eine Saisonarbeit. Die Preise sind in den letzten Jahren gestiegen. Eine Kugel kostet heute 2,20 Euro. „Wenn wir die gute Qualität beibehalten wollen, müssen wir 20 Cent mehr als letztes Jahr verlangen“, sagt Luigi. Vor dem Krieg in der Ukraine haben sie eine Kugel noch für 1,80 Euro verkauft. Mit dem Krieg sei alles teurer geworden, erzählt das Ehepaar, Gas, Strom, Milch und Zucker. „Vor allem aber auch Vanille.“ Wegen schlechter Ernten und Unwettern in Madagaskar, erklärt Luigi. Natia sagt: „Hoffentlich wird Eis essen in Deutschland nicht zum Luxus, wie in meiner Kindheit im sowjetischen Georgien.“
Die Nachbarschaft: In Brusendorf bleiben die Preise jedoch günstiger. Hier müssen die Belmontes keine Miete zahlen. Und es gibt noch mehr Vorteile für die Brandenburger Eisfans. „Wir machen Tauschgeschäfte“, erzählt Natia. „Unsere Nachbar:innen geben uns Kartoffeln und Eier und sie bekommen dafür Eiscreme. Wenn jemand schlachtet, bringt er uns Fleisch vorbei.“ Luigi ist begeistert vom Dorfleben. „Geben und Nehmen und dabei ehrlich sein. Das ist die Basis für eine gute Nachbarschaft“, sagt er. Er bietet im Dorf seine Hilfe als Elektriker an. Nachbarn helfen ihm umgekehrt beim Bau eines Kamins oder bei Malerarbeiten. „Das verbindet uns“, sagt Natia.
Langeweile: Das Leben auf dem Dorf könne aber auch langweilig sein, sagt Natia. „Ich bin lieber in der Stadt, unter Menschen. Ich gehe lieber ins Theater oder ins Kino, als hier im Garten zu sitzen.“ Luigi erlebt das anders. „Ich war ein Stadtkind, jetzt will ich die Hektik nicht mehr. Ich genieße die Ruhe auf dem Dorf.“ Wenn er wieder in eine Stadt ziehen würde, dann käme für ihn nur eine in Frage, sie liegt weder in Deutschland noch in seiner alten Heimat Italien. Er will nach Tiflis, in den Südkaukasus. Natia boykottiert das bislang, weil sie Berlin mag. Luigi lacht. „Meine Frau ist Deutsche geworden.“ Sie wollen mit einer Entscheidung noch drei Jahre warten, bis die Kinder das Abitur haben. Eines ist schon jetzt klar: Keiner der beiden Söhne wird das Eisgeschäft des Vaters übernehmen, und das finden die Eltern okay. Luigi erzählt: „Ich wollte Tontechniker werden, aber mein Vater brauchte Hilfe, und so kam es, dass ich seine Geschäfte weiterführte.“ Das soll bei seinen Söhnen anders sein.
Gian Carlo: Hilfe braucht Luigi ab und zu aber schon. Dann klopft er an das Fenster seines ältesten Sohnes. Gian Carlo ist 18 und arbeitet am Wochenende in der Eisdiele mit. Er ist ein ruhiger Typ, er mag die Langeweile im Dorf. In seinem Zimmer spielt er mit der Playstation. Der Schrank ist voller Manga-Figuren aus japanischen Comics, Dutzende von Comics liegen herum. Was lernt er daraus? „Ich unterscheide zwischen der Realität und dem, was ich in Comics, im Fernsehen oder in Computerspielen konsumiere. Ich lerne nichts daraus, ich konsumiere nur zur Unterhaltung.“ Gian Carlo will Lehrer werden, für Englisch und Kunst, aus pragmatischen Gründen. „Lehrer ist ein sicherer Beruf.“ Er kennt auch seine Stärken: „gut und geduldig mit Kindern umgehen“, wie beim Eisverkauf. Sein jüngerer Bruder Ludovico müsse weniger arbeiten, sagt er. Der habe immer eine Ausrede.
Ludovico: Ein Stoppschild hängt an der Tür des gegenüberliegenden Raumes. Darauf steht: „Ab hier beginnt Ludovicos Königreich.“ Ludovico ist zwei Jahre jünger als sein Bruder. Er sitzt in einer Gartenschaukel, die er ins Zimmer gestellt hat. „Ich bin kein Mensch, der mit dem Körper arbeitet, ich arbeite mit dem Kopf. Meine Welt sind die Bücher“, sagt er. Überall in seinem Zimmer stolpert man über Romane, auch Fantasy ist dabei. Er schreibt auch selbst und experimentiert mit Sprache. Im August geht er für zehn Monate nach Kanada für ein Auslandsjahr. „Ich bin aufgeregt, weil es außerhalb meiner Komfortzone ist.“ Und dann sagt er noch: „Ich verfolge meinen Traum, die Welt zu bereisen und eines Tages ein berühmter Schriftsteller zu werden.“ Nicht nur Eis, auch Literatur kann glücklich machen.
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