Der Hausbesuch: Sie retten auch Katzen
Wenn die Warnmelder heulen, sprinten Wiebke Zimmer und Tobias Stöckl aus Mannheim los. Die Feuerwehr liegt ihnen am Herzen – und sie sich auch.
Wiebke Zimmer und Tobias Stöckl sind beide in der Freiwilligen Feuerwehr. Das Ehrenamt lehrt sie, auch in ihrem Alltag verantwortungsvoll zu handeln.
Draußen: Autos rasen auf der Neckarauer Straße in Mannheim an einem Supermarkt und einer Tankstelle vorbei. Gegenüber steht Mannheims Hauptfeuerwache. Die Kurzwahl „112“ prangt rot und gut sichtbar am Gebäude. Früher wurden in den Hallen auf dem Gelände Eisenbahnbedarf und Maschinen zum Straßenbau produziert. Heute parken dort Feuerwehrwagen. Brennt es, schwärmen innerhalb von wenigen Minuten die Leute der Freiwilligen Feuerwehr in ihren Einsatzfahrzeugen aus. Häufig sind Wiebke Zimmer und Tobias Stöckl dabei. Sie wohnen nahe der Hauptfeuerwache.
Drinnen: Wer über die Schwelle der Wohnung im ersten Stock tritt, dem springen die Katzen Luca und Lanza entgegen. Manchmal klettern sie sogar auf die Schultern von Fremden. „Das sind Schulterkatzen“, sagt Zimmer. Neben der Freiwilligen Feuerwehr betreibt das Paar die Kampfsportart Viet Vo Dao und fotografiert Insekten. Eine rote Mauerbiene, eine Wolfs- und Zebraspringspinne, ein Einsiedlerkrebs, eine gemeine Feuerwanze: Die Nahaufnahmen hängen an den Wänden des Wohnzimmers, versehen mit Beschriftungen auf hölzernen Schildchen. In der Küche steht ein Feuerlöscher mit Wassernebel. Den hat Tobias Stöckl angeschafft.
Auf Abruf: Der Bereitschaftsdienst der Freiwilligen Feuerwehr macht das Paar zu einem Duo auf dem Sprung. Schlägt der Alarm an, heulen vier Geräte auf: zwei Smartphones und zwei Melder. Dann unterbrechen Stöckl und Zimmer ruckartig ihren Alltag, schwingen sich auf ihre Räder und düsen zur Hauptfeuerwache. Zwei bis drei Minuten dauert das. Manchmal wird dann das Abendessen kalt. Das sei „der Klassiker“, sagt Wiebke Zimmer. „Besonders wenn man richtig Hunger hat.“ Teils sei aber auch „ein Abwägen des höheren Gutes“ notwendig. Alkoholisiertheit, Krankheit, Aufsichtspflicht. „Wenn ich eine Jugendgruppe der Feuerwehr betreue, komme ich nicht“, sagt Zimmer. Eine App zeigt an, wer sich bereits auf dem Weg zur Feuerwache befindet. Generell, sagt Stöckl, gelte: „Lieber ein Mal zu viel die Feuerwehr anrufen, als ein Mal zu wenig.“ Kürzlich sind beide in ihrem Ehrenamt befördert worden. Zimmer, die Biotechnologie im Master studiert hat, ist nun Hauptfeuerwehrfrau, Stöckl Hauptlöschmeister.
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Atmen und Löschen: Essenziell sei, „eigene Luft“ mitzubringen, sagt Zimmer. „Das Gefährlichste beim Feuer ist fast immer der Brandrauch.“ Der sei giftig. Wenn es brennt, ist die Berufsfeuerwehr meistens schon vor Ort, erst danach kommen die Freiwilligen. Das passiert, wenn der Brand besonders groß ist. Die Einsätze machen Stöckl und Zimmer demütig, schaffen Bewusstsein für das, was potenziell verloren gehen könnte. Einmal, sagt Zimmer, habe sie während eines Brandeinsatzes vor einem Klavier gestanden. „Meine Eltern besitzen auch eins. Das hat mich sehr daran erinnert.“ Alles zu verlieren, das gehe schnell. „Wir fühlen mit den Leuten mit“, sagt Stöckl. Teilweise müssen auch Katzen gerettet werden. Nach solchen Einsätzen bekommen die Stubentiger Luca und Lanza eine extra Portion Kuscheleinheiten.
Katzen retten: Tierrettungseinsätze gehören zu den Pflichtaufgaben der Feuerwehr. Einmal, an einem Tag im Oktober 2021, hat Zimmer eine Katze aus einem verrauchten Familienhaus geholt. Zimmer findet sie verängstigt und zerzaust in einem ausgebauten Keller, verkrochen unter einem Bett. Fauchen, Kratzen, keine Spur von Dankbarkeit, als Zimmer die Katze aus dem Rauch holt und an einen sicheren Ort bringt. „Die hat sich beschwert“, sagt Stöckl, der ebenfalls dabei war. „Laut heulend.“ Ein Vorteil dicker Einsatzkleidung: Die schützt nicht nur vor Feuer, sondern auch vor scharfen Krallen. Für Zimmer ist diese Kleidung so etwas wie eine zweite Haut geworden.
Neuzugang: Mit 16 Jahren tritt Wiebke Zimmer in die Jugendfeuerwehr ein, gemeinsam mit ihrem zwei Jahre jüngeren Bruder. „Das war eher Zufall“, sagt Zimmer. „Meine Mutter hatte ein Gespräch mit dem Stadtbrandmeister.“ Der erzählt von Nachwuchsbedarf in der Jugendfeuerwehr und vom Training, das immer dienstags stattfindet. Also schaut Zimmer bei der Freiwilligen Feuerwehr vorbei – und bleibt. Was für Wiebke Zimmer eine neue Dimension des Wirkens und Werdens bedeutet, ist bereits Teil von Tobias Stöckls Leben. Blaulicht, Übungseinsätze, Ausschusssitzungen und „auf Abruf sein“ gehören zu seinem Alltag. Als Ausbilder und Jugendwart der aktiven Mannschaft hat Stöckl die Verantwortung für die Jugendgruppe seiner Abteilung; für seine „Schützlinge“, wie er gerne sagt. Zu dieser gehören damals auch Wiebke Zimmer und ihr Bruder.
Altersunterschied: Tobias Stöckl erzählt von ihrem Kennenlernen und von dem Moment, als er sich eingesteht, dass er Gefühle für Wiebke Zimmer hat. Dem Eingeständnis folgt eine Welle moralischer Bedenken und Selbstvorwürfe. Es ist der Altersunterschied von zehn Jahren, der Hierarchien schafft. Stöckl weiß um die Verantwortung, die damit einhergeht. Er erzählt von den Zweifeln, dem Abwägen, dem Hinterfragen seiner eigenen Position und dem, was er fühlt. Geraume Zeit vertraut er sich niemandem an. Er habe gegen Ende „sehr lange gestrampelt“, sagt er und meint damit das letzte halbe Jahr vor seiner Offenbarung. Das mulmige Gefühl löst sich erst mit Zimmers Volljährigkeit. Sie wechselt in die aktive Mannschaft, wird selbst Jugendbetreuerin. Dadurch glätten sich die Hierarchien zwischen beiden – zumindest ein bisschen. An einem Dienstagabend, nach dem Treffen der Jugendgruppe, gibt sich Stöckl „einen Ruck“ und macht seine Gefühle gegenüber der ahnungslosen Wiebke Zimmer transparent.
Kaltstart: „Ich glaube, du warst ein bisschen überrascht“, sagt Tobias Stöckl. Wiebke Zimmer antwortet: „Ich habe davon überhaupt nichts bemerkt.“ Ein „Kaltstart“ sei das gewesen, sagt sie. Stöckl ist ihr erster Partner. „Was meinst du dazu?“, habe er damals gefragt und ein „Wir können es mal ausprobieren“ als Antwort erhalten. Zunächst sind sie einfach zwei Menschen, die sich sehen, aber noch nicht gänzlich begegnet sind; wie eine Beziehung in der Probezeit. „Aber in der Feuerwehr kannst du nichts geheim halten“, sagt Stöckl. Nach zwei Wochen wabert die Neuigkeit über Flure, durch Übungsdienste und Einsatzwägen. Damit endet die „Probezeit“. Sechs Jahre ist das nun her. Die Reaktionen damals: Freude, Glückwünsche, Schmunzeln. Und der Altersunterschied? „Da wurde nicht komisch geguckt“, sagt Stöckl. Das hat ihn doch ein bisschen überrascht.
Witze ohne Witz: Sich in der Freiwilligen Feuerwehr zu engagieren heißt für Wiebke Zimmer, sich in einem männlich dominierten Umfeld zu bewegen. Feuerwehrfrauen gibt es vergleichsweise noch selten. Von den 56 Leuten in Zimmers Abteilung sind 9 weiblich. Parität geht anders. „Manchmal fallen dann Kommentare, die unangebracht sind“, sagt Zimmer. Das passiere jedoch nicht in ihrer Abteilung, nur vereinzelt, mit anderen Kameraden. Konkrete Beispiele hat Zimmer auch: „Man wollte mich mal Kartons nicht tragen oder mich etwas Schweres heben lassen“, sagt sie. „Ein Witz“, sei das gewesen, von einem, der schon „deutlich länger“ dabei war. Gelacht hat Zimmer nicht. Während eines Einsatzes seien ihre Fähigkeiten aber noch nicht in Frage gestellt worden. Seit Kurzem gibt es Periodenprodukte in den Einsatzfahrzeugen – auf Kosten der Abteilung.
Feuerwehr für alle: Wenn Zimmer auf öffentlichen Veranstaltungen für die Freiwillige Feuerwehr wirbt, wird sie mit kindlichem Staunen bedacht. „Viele Kinder fragen, ob ich wirklich eine echte Feuerwehrfrau bin“, sagt Zimmer. Ein bisschen lässt sie das schmunzeln. „Das Wort ‚Feuerwehrfrau‘ ist vielen nicht bekannt“, sagt Zimmer. „Wie können Menschen erreicht werden, die in Sprache und in Köpfen lange Zeit nicht mitgemeint und mitgedacht wurden?“ Auf die Sprache zu achten, mache einen Unterschied, findet Zimmer. Sonst stellen sich Fragen wie: „Darf ich dazugehören?“ Vor Kurzem wurde die Satzung der Gemeindefeuerwehr Mannheim gegendert, um inklusiver zu sein. „Damit alle Geschlechter angesprochen sind“, sagt Zimmer. „Denn Feuerwehr ist für alle da.“
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