Der Hausbesuch: Die Erde erdet sie
Schon Sabine Kluges Urgroßvater war Töpfer, ihr Großvater auch. Und sogar die Mutter. Das Handwerk hat sich in all der Zeit kaum verändert.
Wenn Sabine Kluge Werkzeug in ihren Händen hält, weiß sie, dass auch schon ihr Großvater und ihre Mutter es vor ihr hielten. „Das ist doch schön, so verbunden zu sein“, sagt sie.
Draußen: Ein riesiger Tonkrug hängt an der Fassade von Sabine Kluges Haus im badischen Städtchen Kandern. Davor fließt der Lippisbach, versteckt unter einer Brücke. Wer das Wasser sehen will, muss sich über die Mauer beugen, die den Bach einfasst. Eng ist es an der Kreuzung, die kurvige Straße, die von Kandern ins schöne Kandertal führt und weiter Richtung Schwarzwald, fängt hier an. Beschaulicher wäre es, wenn die Straße keine Rennstrecke für Motorradfahrer wäre. Schwarz gekleidet hocken meist Männer auf ihren krachenden Maschinen; sie tauchen gern im Rudel auf. „Pest“, sagt jemand, der in der Eisdiele gegenüber von Kluges Haus sitzt und sein Eis im Lärm des Motorradratterns „schlotzt“, also schleckt. „Da, schon wieder die Pest.“
Drinnen: Zuerst zeigt Kluge ihr privates Museum, wo gesammelte Keramiken der Vorfahren stehen. Von Hermann Hakenjos, dem Urgroßvater (1879–1961), sind Jugendstilvasen in der Vitrine. Mit floralen, geschwungenen Verzierungen. „Achtung, alle Männer in meiner Familie heißen Hermann“, warnt Kluge die Besucherin vor. Neben den Sachen vom Uropa stehen die von Hermann Hakenjos (1905–1992), dem Opa. Sie sind mehr im Art-Déco-Stil, der das Florale verfremdet. Die Zierkacheln des Ofens im Ausstellungsraum hat der Großvater auch gemacht. Darauf sind Szenen aus der Bibel zu sehen – wie die Verkündigung, wie die Vertreibung aus dem Paradies. Eigentlich ist die 1962 geborene Sabine Kluge in die Fußstapfen ihres Opas getreten. Ihre Mutter, Ursula Kluge, geborene Hakenjos (1935–1979), die eine Liebe für geometrisches Dekor hatte, starb früh.
Expressionismus: Auch im Wohnzimmer stehen und hängen unzählige Dinge aus Ton. Dazu Möbel aus früherer und neuerer Zeit; einst wohnten hier drei Generationen zusammen. „Wenn man so viel Keramik hat, kann man sich nicht noch verrückt einrichten“, sagt Kluge. Über dem Sofa hängt das Foto eines Bildes von August Macke, darauf zwei Mädchen; weiße Schürzen haben sie um. „Das Mädchen rechts ist meine Großmutter.“ August Mackes Schwester war mit dem Kanderner Kronenwirt verheiratet. Deshalb war der Maler öfters im Städtchen, malte den Ort, porträtierte die Menschen. „Was für ein Aufwand, nur damit wir eine Reproduktion von dem Bild machen konnten. Zig Unterschriften und 400 Mark kostete allein das Ausleihen.“
Die Arbeit in Textilfabriken in Bangladesch und Pakistan kann lebensgefährlich sein. Der Chef des deutschen Billig-Textilunternehmens KiK verspricht, das zu ändern. Unser Reporter hat ihn begleitet – wie die Reise lief, lesen Sie in der taz am wochenende vom 18./19. Juni. Außerdem: Was der Klimawandel mit den Binnengewässern macht. Und: Ein Hausbesuch bei einer Töpferin in 4. Generation. Ab Samstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Der Kanderner Ton: Kandern ist Töpferstadt. In der Gegend gab es dank des Jurameeres und der Eiszeiten Ton. Viele hundert Millionen Jahre alt ist der. Eine Ziegelei war am Ort. Als diese neben Ziegeln auch Kunsttöpferwaren herstellte, kam der Urgroßvater nach Kandern. Später hatte er auch eine Tongrube, ihr Großvater erbte sie. Heute ist Kluge die einzige, die noch den Kanderner Ton verwertet – die Tongruben sind erschöpft, die Ziegelei geschlossen. Sie hat sich zuvor drei Lastwagen voll Ton gesichert. Abgedeckt im Wald liegt er. In einer Ecke in ihrer Werkstatt hat sie welchen davon. „Der ist vergleichsweise jung, nur 160 Millionen Jahre.“
Konkurrenz: Heute gibt es noch drei Töpferinnen im Ort, in dem ohne Eingemeindungen 4.000 Menschen leben. Die Töpferinnen kämen sich nicht in die Quere, weil sie mit unterschiedlichen Tonen und Techniken arbeiteten. Kluge benutzt Töpferton, Frau Kerstan, eine der anderen, benutzt Steinzeugton. „Ich kann der Frau Kerstan kein Rezept klauen. Sie mir auch nicht helfen, wenn ich Probleme habe.“
Nachhilfe: Als sie sieht, dass nicht verstanden wird, was die Unterschiede sein sollen, sagt Sabine Kluge ergeben „Also gut“, lehnt sich auf dem Sofa zurück und gibt Nachhilfe. Vier Sorten Ton gibt es. Erstens Steingut- und zweitens Töpferton, deren gemeinsamer Nenner: Sie sind nur dicht mit Glasur. Steingut sieht nach dem Brennen beige aus, Töpferton ist bunt. Beide brennen bei 1.100 Grad. Dann gibt es – drittens – Steinzeug, was Frau Kerstan herstellt; das brennt ab 1.200 Grad hell und dicht. Und viertens gibt es Porzellan. Dafür sind mindestens 1.400 Grad nötig.
Der Dialekt: Kluge ist groß; sie spricht laut. Sie „schwätzt“ Badisch. „Nei Alemannisch, ä eigä Sproach“, korrigiert sie. Alemannisch wird in Baden, im Elsass, in der Schweiz, in Teilen Österreichs gesprochen, „von Ort zu Ort leicht verschieden“. Sie hat schon einen starken schweizerischen Einschlag, die Grenze ist nah. Ihr i ist mehr ein ü, Sie sagt „Lüt“ und „hüt“ und „d’Lüt fu hüt“. Weiter nördlich, so in der Gegend um Freiburg, heißt es dagegen „Lit“ und „hit“ und „d’Lit fu hit“. Gemeint sind immer: die Leute von heute.
Die Vorfahren: Seit vielen Generationen wohnt Kluges Familie mütterlicherseits im Ort. Und der Uropa kam auch nicht von so weit her – aus Sankt Georgen im Schwarzwald. Er war in der Kunstgewerbeschule in Karlsruhe und kam mit seinem Professor, dem damals bekannten Designer Max Laeuger, an die Kunsttöpferei Tonwerke Kandern. Sein Sohn wurde Keramikingenieur und Keramikmeister und arbeitete ebenfalls in Kandern. In den 1930er Jahren gründeten Vater und Sohn dann die eigene Töpferei. Es war eine Entscheidung zwischen Fabrik und Handwerk, Ziegel und schönen Dingen.
Der Riss: Wissen und Handwerk wird von einer Generation an die nächste weitergereicht. Dieses Mal war es die Tochter Ursula, die sich für die Töpferei begeisterte (ihr Bruder, natürlich heißt er Hermann, zog es weg von der Drehscheibe. Er wurde Vermessungsingenieur). Es hätte immer so weitergehen können. Doch mit 42 Jahren starb Ursula Kluge. „An Lungenkrebs, dabei hat sie nie geraucht. Gott sei Dank musste sie nicht lange leiden“, sagt Sabine Kluge. Sie war 17 damals; Geschwister hat sie nicht.
Den Riss kitten: „‚Du musst dich beeilen‘, hat der Großvater nach der Schule zu mir gesagt, ‚damit du fertig bist, bevor ich sterbe‘.“ Und die Enkelin will ja auch töpfern lernen. Wer ihr zuhört, merkt schnell: Ihre Elternliebe ist eine Großelternliebe. „Wenn man so jung die Mutter verliert, dann ist der Zusammenhalt da.“ Vor allem ihr Opa ist ihr nah. Eigentlich erzählt sie fast nur von ihm. Dass sie alles gemacht hat, wie er es wollte. Die Lehre und dann die Meisterschule und dann die Töpferei übernehmen. 1990 ist es so weit. Zwei Jahre später stirbt der Großvater.
Das Meisterjahr: Den Meisterbrief konnte sie nicht in Südbaden machen, sie musste nach Höhr-Grenzhausen bei Koblenz. Jedes Wochenende ist sie heimgefahren, um dem Großvater zu helfen. „In manchen Töpfereien gibt es nur drei Formen und vier Glasuren. Wir haben immer viele verschiedene gemacht. Sie selbst mag Engobenkeramik, da wird das Muster reliefartig mit flüssigem andersfarbigem Ton auf die Grundform aufgetragen.
Verbundenheit: Dann zeigt Sabine Kluge die Werkstatt, wo noch der alte Brennofen vom Großvater steht. Die Schaltanlage ist kaputt, sie kann ihn nicht nutzen. 20.000 D-Mark hätte die Reparatur seinerzeit kosten sollen. „Do defür chönnt i a Mängs Häfele brenne“, sagt sie. Soll heißen: Dafür müsste sie viele Krügchen verkaufen. Dann zeigt sie, wie aufwendig es ist, aus dem abgestochenen Ton, den sie von ihrem Vorrat im Wald geholt hat, modellierfähiges Material zu machen. Erst muss der Ton im Wasser gelöst und gereinigt werden, dann muss ihm das Wasser wieder entzogen werden. Sechs Arbeitsschritte in zwei Tagen und die Maschinen so teuer. „Ich kriege keine Ersatzteile mehr.“ Sie macht eine Arbeit, die schon vor Hunderten Jahren so ähnlich gemacht wurde, auch von ihren Vorfahren. „Ich lebe mit meiner Familie. Die Leute sind nicht weg.“
Leben und Arbeiten: Sabine Kluge, seit Langem verheiratet mit einem Mann, der Budgets für Bauvorhaben verwaltet, hat keine Kinder. „Wenn Töpferinnen schwanger sind, müssen sie sofort aufhören zu arbeiten. Wegen der Stäube“ – und darüber sinnieren, was wäre, wenn, führe nicht weiter. Kluge ist Pragmatikerin. Sie arbeitet mit Erde, und die Arbeit mit der Erde erdet sie. Nur einen Luxus leistet sie sich: Sie steht mit Halskette und Ohrringen in der Werkstatt. Der Schmuck soll es richten, wenn sie in staubigen Klamotten direkt von der Drehscheibe in ihren Laden rennt, weil die Türglocke läutet. Denn alles sei gleichzeitig, Leben und Arbeiten sei für sie eins. Das erfülle sie. „Manchmal“, sagt sie, „überlege ich, was ich arbeiten wollte, wenn es zum Leben nicht mehr reicht. Nur fällt mir nichts ein.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren