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Der HausbesuchAus der Erde herauswachsen

Was tun, wenn der Krebs unheilbar ist? Wilm Weppelmann macht weiter Kunstprojekte in seinem Kleingarten. Und er will ans Meer.

Wim Weppelmann in seiner Gartenlaube Foto: Jakob Schnetz

Mit dem Sterben hat sich Wilm Weppelmann schon früher auseinandergesetzt. Seit der Krebs nicht mehr aufzuhalten ist, ist es konkret – und das Sterben Teil seiner Kunst.

Drinnen: Das Treffen findet coronabedingt in einer erdig duftenden Gartenlaube statt; nur wenige Quadratmeter ist sie groß und voller Gartenutensilien, Bücher, Kochgeräte. Dazu Schreibtisch und Lesesessel.

Draußen: Ein üppiger Kleingarten mitten in Münster mit hohem Süßkirschbaum, Gewächshaus und Stangenbohnen, Johannisbeeren, Kartoffeln, Auberginen, Gurken und dazwischen geradezu aufdringlich purpurne Lichtnelken, gelbe Calendula, roter Mohn.

Die Kolonie: Die Nachbargärten sind einer schöner als der andere, einer prangt voller Rosen, während daneben wilde Nachtkerzen, Malven, Borretsch und beim übernächsten Mangold, Kürbis und Mais wachsen. Einer geriert sich als Bienenweide, und dann gibt’s da auch noch einen voller Plastikspielzeug für Kinder. Wilm Weppelmann, ­schmal, groß und mitteilsam, ist der Vereinsvorsitzende der Kolonie. „Ein ganz Lieber“, sagt die Gärtnerin mit der Rosenpracht. Seit er Krebs habe, spende ihm der Garten Trost.

taz am wochenende

Seit über zwei Jahren werden Frauen, die sich offen gegen rechts positionieren, mit dem Tod bedroht. Absender: „NSU 2.0“. Steckt ein Polizist dahinter? Eine Spurensuche in der taz am wochenende vom 05./06. September. Außerdem: Die Theaterhäuser öffnen wieder – mit strengem Hygienekonzept. Was macht Corona mit der Kunst? Und: Eine Kräuterwanderung im Schwarzwald. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Krebs: Vor drei Jahren bekam er die Diagnose: Speiseröhrenkrebs. Der gilt als nahezu unheilbar. Die Ärzte trauten sich dennoch zu operieren. Er war auf dem Weg der Besserung, als es hieß: Der Krebs ist zurück. Es hat gedauert, bevor die Ärzte sich entschlossen, es noch einmal mit einer OP zu versuchen. Die sei mit allem Drum und Dran die Hölle gewesen. „Erst jetzt wurde mir klar, dass ich mein Leben würde umstellen müssen.“ Seine Freunde legten zusammen und kauften ihm ein ­E-Bike. Damit er weiter in seinen Garten radeln kann. „Darüber habe ich mich riesig gefreut.“

Rückschlag: Erst ging es aufwärts, aber bald schon war der Krebs wieder da. „Da waren meine Liebste und ich am Boden zerstört. Damit waren all unsere Pläne zerstoben.“ Jetzt kam die Chemotherapie dran. Zudem meldete er sich beim ambulanten Hospizdienst, dem Palliativnetz Münster an. Die helfen, beraten, rufen an, um zu fragen, wie es geht. „Jetzt geht es um die Devise: Genieße den Tag! Aber natürlich plane ich auch, bis 2022.“ Es geht darum, zu haushalten: „Was ist mir wichtig? Was schaffe ich noch?“

Das Leben aufräumen: Nachsorge müsse er auch treffen, sagt er, „meinen Hausrat und meine Verhältnisse ordnen. Dazu ist man seiner Liebsten, seinen Nächsten verpflichtet.“ Zwar sei er als Künstler eine Art Lokalmatador, aber „pekuniär habe ich keinen Marktwert, es gibt nichts zu vererben.“ Trotzdem muss er mit Rücksicht auf die anderen klären: Was hinterlasse ich an immateriellem Erbe? Was soll mit den Büchern passieren? Und vieles mehr.

Freunde: Dabei müsse man sich aber Hilfe suchen und alles mit guten Freunden besprechen, die einen Blick auf die Dinge werfen, sagt er. Auch wichtig zu klären sei: „Wie komme ich finanziell hin?“

Zu Hause: Natürlich gebe es welche, überlegt Weppelmann, die geben in so einer Situation alles auf, kündigen die Wohnung, verkaufen den Hausrat und wandern aus, etwa nach Gomera. Aber er fühle sich wohl in seiner Häuslichkeit, zusammen mit der Liebsten. Und zwischen seinen Büchern. Denn bereits als er noch im Verlagswesen arbeitete, sammelte er Gartenbücher. Bei den Messen wussten alle Kollegen: Bei ihm konnten sie Kinderbücher gegen Gartenbücher eintauschen.

Herkunft: Wilm Weppelmann stammt vom Dorf. Sein Vater war Malermeister. Die Lehrlinge wohnten mit im Haus, außerdem des Vaters Mutter und Schwestern. Wilms Mutter stammte von einem Kötterhof fünf Kilometer weiter. Sie machte die Buchführung und verkaufte Farben und Pinsel. Und zusammen mit ihrer Schwiegermutter baute sie im Garten Gemüse an. Das empfand Weppelmann, als er noch Kind war, als gemütlich. Der Garten stand für Familienzusammenhalt. Zum Winter hin schlachteten die Männer eins der beiden Schweine und nahmen es aus. Die Frauen machten die Würste. Es gab einen Krämerladen, und kaum jemand kam je aus dem Dorf raus.

Ausbildung: Wilm aber wollte weg, machte in Münster Abi. Und studierte dort Germanistik. Er arbeitete erst an einem Theater und wurde dann Verlagsleiter in einem Kinderbuchverlag, danach Vertriebsleiter in einem anderen großen Verlag. Als er aufgrund von Stress zusammenklappte und ins Krankenhaus kam, wäre er infolge eines Arztfehlers fast gestorben.

Kunst: Weppelmann nutzte die Zeit seiner Genesung, um seine künstlerische Arbeit zu entwickeln; er kombinierte Text mit Fotografie. Sogar einen Ausstellungsraum fand er. „Ich war damals wohl auch sehr frech.“ Seine Ausstellung zum Thema „Sehen“ kam gut an. Die daran anschließende Ausstellung zum Thema „Zukunft“ ebenfalls. Bald danach wurde er mit der Leitung einer Ausstellung zum Thema „Sterben“ betraut, „am Museum für Sepulkralkultur in Kassel, das sich ausschließlich dem Umgang mit dem Tod widmet“.

Wim Weppelmanns Refugium von außen Foto: Jakob Schnetz

Nachtschreck: In der Ausstellung ging es ums Sterben, nicht um den Tod. Wie umgehen mit dem Dahinscheiden, wie gehen die anderen damit um? Überhaupt hat ihn das Thema Sterben vielleicht immer schon begleitet. Als Kleinkind hatte er den Pavor nocturnus – „Nachtschreck“. Der kleine Wilm schrie unvermittelt gellend laut auf, als sei da Todesangst, und schlief anschließend – im Gegensatz zu seinen erschrockenen Eltern – ruhig weiter.

Eine Fügung: Zum Garten kam er vor 20 Jahren auf merkwürdige Weise. Ein halbes Jahr radelte er an einem Aushang mit einer einprägsamen Telefonnummer vorbei „2717 … Garten abzugeben“. Eigentlich war er damals mit 45 Jahren an so etwas Piefigem wie einem Kleingarten nicht interessiert. Aber dann rief er doch dort an und war schon nach 14 Tagen Pächter eines vom Gestrüpp völlig überwucherten Kleingartens. Wilm legte sofort los. „Ich rackerte im ersten Jahr sicher 1.000 Stunden.“

Kopfstand: Und dann merkte er, was in so einem Garten alles steckt: Er machte einen Kopfstand, um die Welt von unten zu betrachten, und kam zu philosophischen, sozialkritischen und künstlerischen Themen. Schon im zweiten Jahr als Kleingärtner öffnete Wilm seinen Garten für die Gäste zu seiner allsommerlichen „Freien Gartenakademie“. Es kommen meistens so viele Leute, wie eben in den Garten passen. Wenn es dann bei den Konzerten doch mal mehr waren, sah sein winziger Rasenfleck ganz schön demoliert aus, erzählt er. Auch andere Projekte sind aus diesem Münsteraner Kleingarten hervorgegangen; etwa seine 30-tägige Performance „Was ich zum Leben brauche“ auf einem schwimmenden Gartenfloß oder seine Installation „The Hunger Garden“, wo nur Steckrüben und Mais wachsen.

Förderung: Die Stadt Münster, der Landesverband der Kleingärtner und Sponsoren helfen Weppelmann dabei, ReferentInnen zu finanzieren. Den Preis der UN-Dekade „Biologische Vielfalt“ für 2017 erhielt er auch – von der Grünen-Politikerin Bärbel Höhn auf einer Bühne über dem Gartenteich überreicht.

Corona: Trotz Corona kommen die Leute zur Gartenakademie. Das Programm stand bereits fest, als Distanzregeln es nötig machten, alles neu „auszuhecken“: Die Besucher sitzen jetzt auf dem Weg vor dem Garten, und Weppelmann und sein jeweiliger Gast sehen nur die Köpfe oberhalb der Hecke. Ein bisschen wie ehedem die Kasperlepuppen in den Händen der kleinsten Spieler mit den noch zu kurzen Ärmchen.

Gartenkunst: Die künstlerische Arbeit mit dem Thema Garten will Weppelmann keinesfalls aufgeben. Trotz Krebs. Sowieso hat er ein neues Projekt in einem weiteren, verwilderten Garten, wo er und seine Liebste Mitmachmöglichkeiten für Schulkinder anbieten.

Ferien: Zunächst aber fahren die beiden eine Woche auf eine Insel. Sie wird ins Wasser springen und er sich einer neuen Fotoarbeit widmen. Sie haben eine Ferienwohnung und nehmen sich einen Strandkorb. Da kann man alles drinlassen, sogar bei Wind und Regen. Es gibt das Meer, den Strand und keine Autos.

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