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Der HausbesuchDer Krieg soll ins Museum

Das Anti-Kriegs-Museum in Berlin ist ein Familiending. Der Großvater gründete es 1925. Die Nazis zerstörten es. Der Enkel gründete es 1980 neu.

Renate und Tommy Spree im originalen Luftschutzkeller unter dem Anti-Kriegs-Museum Foto: Wolfgang Borrs

Das Anti-Kriegs-Museum im Berliner Wedding ist wie Tommy Sprees Wohnzimmer. Und es ist ein geistiges Vermächtnis. Denn mit dem Museum erinnert er an das Lebenswerk seines Großvaters Ernst Friedrich.

Draußen: An der Ernst-Friedrich-Promenade steht ein Rosenstrauch – rot und duftend. Wenn Tommy Spree nicht im Anti-Kriegs-Museum ist, was selten vorkomme, widme er sich den Blumen. „Wer Pazifist ist, liebt auch die Natur“, sagt er, nachdem er und seine Frau aus dem Auto gestiegen sind. Er in hellblauem Jackett, sie mit einen Korb, in dem Kaffee und Kekse sind. Die Promenade, die den Namen seines Großvaters trägt, und die Rosen finden sich an einem Platz an der Brüsseler Straße, so wie auch die Skulptur „Das Gewehr zerbrechen“. Gegenüber steht „Anti-Kriegs-Museum“ über einem Schaufenster. Spree öffnet die Tür. Weiter oben im selben Haus weht eine deutsche Fahne; auf einem anderen Balkon hängt ein Transparent: „Leave no one behind“.

Drinnen: An den Wänden hängen Por­träts schwer verwundeter Soldaten. Sie ziehen die Aufmerksamkeit sofort auf sich. Das sind die Bilder der „zerhauenen Visagen“ aus dem Buch „Krieg dem Kriege“ von Ernst Friedrich. „Menschen sind Vergessmaschinen“, zitiert Spree seinen Großvater. „Sie müssen immer wieder erinnert werden, was für ein schreckliches Verbrechen der Krieg ist.“ In Vitrinen unter den Fotos liegen Gegenstände aus dem Krieg, durchlöcherte Helme, Gasmasken, eine Butterform in Gestalt eines Eisernen Kreuzes, die Uniform eines KZ-Häftlings. Die Biografien von Pazifist:innen ergänzen die Dauerausstellung. Es gibt auch eine Friedensbibliothek und im Altbau nebenan die Peace Gallery. Über der Bodenklappe, die zur Treppe in den Luftschutzkeller führt, hängt eine Berlinkarte. Darauf wird in kon­zen­tri­schen Kreisen gezeigt, was in der Stadt passieren würde, wenn eine Atombombe explodieren würde wie im August vor 75 Jahren in Hiroshima und Nagasaki. Die Verwüstungen würden bis nach Brandenburg reichen.

Im Keller: Unter dem Museumsraum ist der originale ausgebaute Luftschutzkeller aus dem Zweiten Weltkrieg. Dort macht Spree ein Röhrenradio an, Sirenen und Ansagen vom April 1945 rauschen in den düster beleuchteten Raum: „Achtung, Achtung! Die gemeldeten Bomberverbände finden sich im Raum Hannover-Braunschweig.“ Renate Spree sitzt auf einem Küchenstuhl („wie es damals war“), Hände auf dem Schoß, und hört sich das an, obwohl sie es auswendig kennt. Schüler:innen, Politiker:innen, Soldatengruppen besuchten (bevor die coronabedingten Beschränkungen kamen) regelmäßig das Museum und ließen sich von Spree ausmalen, wie der Aufenthalt im Keller während der Luftangriffe war.

400 Striche: Mit großen Gesten beschreibt er, was zu sehen ist. Ein rostiges Bettgestell, ein Kindergasschutzbett und ein Bild, das zeigt, wie es benutzt wird. Die Eimer, die als Toiletten dienten und die die Frauen leeren mussten. Eine Bunkertür, auf der eine damalige Bewohnerin mit feinen Strichen jeden Alarm dokumentierte. 400 Striche, 400-mal verbrachte sie Tage oder Nächte im Keller. An den Wänden hängen Verhaltensregeln aus, ein Verbandskasten, zerknitterte Zettel mit Gedichten, die von der Sehnsucht nach Normalität zeugen.

Gibt es in Berlin-Wedding: Das Anti-Kriegs-Museum Foto: Wolfgang Borrs

Der radikale Pazifist: Tommy Spree macht das Anti-Kriegs-Museum aus Überzeugung, aber auch, um seinen Großvater zu ehren. Dessen schwarze Augen stechen hervor, wenn man ein Bild des junges Ernst Friedrich betrachtet. „O ja, er konnte gut blicken“, sagt Spree. Früh engagiert sich Friedrich bei antiautoritären Jugendbewegungen und möchte Schauspieler werden. Weil sein Vater dagegen ist, verlässt er sein Elternhaus und die zwölf Geschwister in Breslau und wandert zwei Jahre lang durch Europa. Auf dieser Reise lernt er andere Kriegsgegner kennen. Er pu­bli­ziert die Zeitschrift Freie Jugend und schreibt 1924 das Buch „Krieg dem Kriege“. 1925 gründet er sein Anti-Kriegs-Museum in der Berliner Parochialstraße. Bis 1933, als ein SA-Kommando das Museum zerstört und es in ein „Sturmlokal“ mit Folterkammer umwandelt, ist das Museum ein Treffpunkt für friedenspolitische Aktivist:innen. Tommy Spree zeigt Bilder aus jener Zeit, die in einer Ecke des Museums hängen.

Widerstand: Ernst Friedrich wird 1933 von den Nazis verhaftet und doch wieder freigelassen. Er flieht mit seiner Familie und schmuggelt dabei einen Teil des Museumsinventars aus Deutschland. Über Prag und Genf schaffen sie es nach Brüssel, wo Friedrich das Museum erneut aufbaut. Doch die deutsche Wehrmacht zerstört auch das „II Anti-Kriegs-Museum“ und tötet Friedrichs Lebensgefährtin. Tochter Heidi flieht nach London, wo Tommy Spree 1940 zur Welt kommt. Friedrich wird Teil des französischen Widerstands, und nach der Befreiung Frankreichs bleibt er in Paris. Er versucht erfolglos, die Ruine der Gedächtniskirche in Berlin für ein drittes Anti-Kriegs-Museum zu bekommen, und kauft später mit Entschädigungsgeldern der BRD eine Insel, die ein Begegnungszentrum für deutsche und französische Jugendliche wird und die er „Ile de la Paix“, „Friedensinsel“, nennt.

Engländer: Mit 12 Jahren kommt Tommy Spree aus dem Londoner Exil zurück nach Berlin. „Engländer“ nennen ihn alle. Er wird Lehrer für Englisch, Geschichte, Sport und spielt Klarinette. Und er träumt davon, Friedrichs Ideen weiter in die Welt zu tragen. „Ich bin als Kriegsgegner erzogen worden.“

Enkel und Großvater: Dass Menschen wie Ernst Friedrich immer seltener werden, denkt Spree nicht. Er sei ein Optimist und glaube, dass die jüngsten Generationen etwas verändern können. Sein Großvater sei auch davon überzeugt gewesen und sagte es ihm, als er ihn 1956 mit 16 Jahren das erste Mal in Paris traf. „Die Alten, die ändern wir nicht mehr. Auf die Jugend müssen wir bauen“, sagte er. In dem Buch „Ich kenne keine ‚Feinde‘ “, das Spree über seinen Großvater verfasste, ist ein Foto von dem Treffen. Großvater und Enkel stehen vor der Kathedrale Sacré-Cœur. Spree sieht seinen Opa danach nicht mehr oft. Doch der Großvater prägt ihn so sehr, dass er 1982 das Anti-Kriegs-Museum in Berlin wiedereröffnet – 15 Jahre nach Friedrichs Tod.

Die Frau im Hintergrund: „Zu Hause haben wir noch ein Museum – unterm Bett“, sagt Renate Spree und lacht. So viel Material haben sie gesammelt. Sie sei „die Frau in Hintergrund“, ziehe sich lieber ins Büro zurück. Sie engagierte sich aber von Anfang an für das Museum. Sie sei, wie Spree in der Danksagung zu seinem Buch schreibt, „guter Engel“ bei allem. Es komme hinzu, sagt er, „dass sie mich als Ehemann seit 55 Jahren aushält. Ich weiß nicht, wie sie das schafft.“ Sie wird rot und winkt ab.

taz am wochenende

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Ein Schiff namens Liebe: Die beiden lernen sich 1965 kennen, als Spree mit seiner Swingband auf einer Gewerkschaftsparty spielt. Sie arbeitet bei einer Rentenversicherungsfirma, schwärmt aber „damals wie heute“ für Kunst und Ballett, Philosophie und Musik. Pazifistin sei sie von der ersten Stunde an. „Ich bin am 8. Mai 1945 geboren.“ Am Tag des Kriegsendes. In der Nähe von Neuruppin sei sie zur Welt gekommen, mithilfe eines russischen Offiziers, der für ihre Mutter eine Hebamme auftrieb. „Ich bin also ein Friedenskind.“ Das Schiff, auf dem der Gewerkschaftsball stattfand, hieß „Amor“ – Liebe. „Ich fand Tommy süß mit seinem englischen Akzent“, sagt sie. In der Nacht fing ihre Liebesgeschichte an.

Das Museum – ein Familiending: Sprees Söhne, deren Kinder und ein Team von Ehrenamtlichen halten gemeinsam mit dem Ehepaar das Museum am Laufen. Auf dem Bürotisch, zwischen Kaffee und Keksen, breiten sie Unterlagen aus, die von vier Jahrzehnten ihrer Arbeit zeugen. Sie zeigen sie stolz, als wären sie ein Familienfotoalbum. „Es ist heute genauso wichtig wie vor 75 Jahren, die Friedensbewegung am Leben zu halten“, sagt Tommy Spree. Und seine Frau sagt: „Wir müssen den Krieg ins Museum schaffen, damit er endlich aus der Welt ist.“

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