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Der HausbesuchDie Hauptsache ist Liebe

Wallis Birds Stimme ist rau, ihre Texte sind gefühlsgeladen. Erst in ihrer Wohnung in Berlin ist die Musikerin richtig bei sich angekommen.

Die weißen Bauten wurden für das Cover von Wallis Birds Albums „Architect“ angefertigt Foto: André Wunstorf

Fernseher, so nennt sie das große Fenster ihres Musikzimmers zur Straße hin. Hier sitzt sie und schaut nach unten. Singt und sinniert, über das Leben, über die Liebe. Zu Besuch bei der Musikerin Wallis Bird im Berliner Stadtteil Neukölln.

Draußen: Mit einem kleinen, engen Aufzug gelangt man auf ihre Terrasse und von dort in die Wohnung. Die Dächer reichen in die Wolken. „Hier ist man im Himmel“, sagt Wallis Bird. Vor der Terrassentür stehen Topfpflanzen, um die sich ihre Freundin Tracey kümmert. Unten schiebt ein Mann mit Gitarre ein Fahrrad, gehen Menschen ihrer Wege, jeder den eigenen.

Drinnen: Auf einem Tisch liegt einer der Musikpreise, die Wallis Bird gewonnen hat – zwischen Rasseln und dem alltäglichen Chaos. Im Wohnzimmer stehen Gitarren, ein Schlagzeug. Im Flur: ein Klavier. Auch ein alter Singer-Nähmaschinentisch steht dort, darauf ein Wählscheibentelefon. Vieles hat sie vom Trödel, jeder Gegenstand hat eine eigene Geschichte.

Luxus: An einer Wand lehnt ein Bild, „Der arme Poet“ von Spitzweg. „Ich liebe das. Weil jeder Künstler eine Zeit lang sauarm ist.“ Dass er beim Arbeiten im Bett liege, sei „eigentlich Luxus“. In dem Bild flössen Tragisches und Komisches zusammen, sagt sie. Humor sei wichtig. „Das Leben ist lang.“

Herkunft: Geboren ist Wallis Bird 1982, aufgewachsen in Galbally, einem kleinen Ort in Irland, mit sechs Geschwistern. Ihr Vater betrieb einen Pub, bis er einen Autounfall hatte. „Er war ein Jahr im Krankenhaus. Er konnte nicht mehr arbeiten“, blieb aber tapfer, „sau, sau stark“. Das Motto der Familie: „Einfach weiter – irgendwie.“

Musik: „Mit Musik bist du nie alleine und nie hungrig“, so lautet ein Sprichwort ihrer Mutter. Birds ganze Familie ist musikalisch. „Wir sind verliiiiiebt in Musik. Mein Papa war ein DJ, meine Mama singt die ganze Zeit.“ Auch sie summt vor sich hin, wenn sie Kaffee eingießt oder durch ihre Wohnung läuft. Anfangs haben ihre Lieder noch stärker an Irish Folk erinnert. Später wurden sie funkiger, kamen auch elektronische Beats dazu. Mit ihrer Musik hat Bird international Erfolg, tourte schon in Japan und Australien.

Jeder Gegenstand erzählt eine kleine Geschichte Foto: André Wunstorf

Mannheim: Studiert hat Bird in Dublin, für ein Austauschsemester ging sie an die Popakademie in Mannheim. „Ich habe dort so viele geile Leute kennengelernt und wir arbeiten immer noch zusammen.“ Die Stadt sei wie „ein kleines Berlin“, sagt Bird, „weil es auch sehr anonym ist, kosmopolitisch.“ Und es leben viele Menschen aus der „working class“ in Mannheim, das mag sie: „Da sind die Leute besser – und die Geschichten.“

Lebenshunger: „Als ich nach Mannheim gezogen war, hatte ich absolut kein Geld“, sagt Bird. Manchmal hat sie tagelang nichts gegessen. „Ich habe auf der Straße gespielt, damit ich mir Kebab kaufen kann. Und wenn es ein guter Tag war, kaufte ich ein Steak.“ Ihre Eltern hat sie nicht nach Geld gefragt, ihnen auch nicht erzählt, dass sie so arm war. Aber: „Es war eine geile Zeit.“

Ein Unfall: Die 36-Jährige spielt ihre Rechtshändergitarre andersherum. Weil ihr seit einem Unfall mit einem Rasenmäher ein Finger fehlt. Bird war damals noch ein kleines Kind, sie erinnert sich noch an den Krankenhausaufenthalt. „Ich wollte einen Joghurt haben.“ Ein kleiner Kühlschrank stand dort im Raum. „Und ich bin aus dem Bett gesprungen und eine Nonne hat zu mir gesagt: Nein.“ Sie lacht. Bird wuchs in einer katholischen Familie auf. „In unserer Generation war man einfach katholisch geboren. Jedes Krankenhaus war christlich. Das ganze Land war christlich.“

Ein Geheimnis: Ihrer Mutter erzählte sie mit 25 erst, dass sie lesbisch ist. „Ich habe nix gesagt, weil es so peinlich war. Ich habe gedacht, die werden das nicht verstehen.“ Lange habe sie es als Geheimnis herumgetragen, „es war furchtbar“. Vor ihrem Vater schwieg sie noch länger. „Von 14 bis ich 31 war, fast mein ganzes Leben.“ Nachdem sie mit Tracey zusammen gekommen war, hat sie dann zu ihm gesagt: „Ich hab ’ne Geschichte für dich: Ich hab ne Freundin – and I really love her.“ Und ihr Vater sagte nur: „Ja, ich weiß.“ Sie lacht.

Fortschritt: Heute hat sich in Irland vieles geändert. Die Ehe für alle wurde erlaubt, das Abtreibungsreferendum kam durch. „Die katholische Kirche zieht sich langsam zurück.“ Aber etwas sei von früher geblieben sagt Bird: das Gossiping. „Jeder schaut auf jeden.“ Zum Beispiel würde man gefragt: „Warum bist du alleine in dieser Kneipe?“ Sie verstellt ihre Stimme. „Warum machst du das? Oh, du kannst das nicht machen.“ Sie schüttelt den Kopf. „Ich bin alleine in dieser Kneipe, weil ich alleine in dieser Kneipe sein will.“

Umzüge: Bevor sie 2012 nach Berlin kam, lebte Bird in London. Die komplette Band zog aus Mannheim dorthin. „Die besten Musiker sind immer in London und es war einfach die beste Chance im Musikbusiness.“ Aber London war hart. „Die Leute hatten zwei Jobs, weil die Mieten so hoch waren. Sie hatten keine Zeit für ihr Leben.“

Freiheit: In Berlin hat sie ihre Heimat gefunden. Sie liebt die Häuser, die Altbauten, dass es so grün ist. „Es ist sehr ruhig und poetisch und liberal und easy-going.“ Vor allem fühlt Wallis Bird sich frei. „Wenn man die Freiheit nicht kennt, vermisst man sie nicht. Aber wenn man Freiheit gelebt hat, merkt man, wie wichtig es ist, sie zu haben.“

taz am wochenende

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Nacktheit: Anfangs war sie viel in Clubs, ließ sich euphorisieren vom Berliner Nachtleben. Suchte einen Fluchtort. „Wenn ich in Clubs in Berlin gehe, wo Leute nackt sind, komplett frei und miteinander tanzen und reden und der Körper ist nicht nur Fleisch“ – dann sei das ein Schutzraum, wo alles was im normalen Leben verboten ist, einen Ort habe. Es war aber auch eine „komische Zeit“. Sie lacht. „Es war zu viel von allem, zu viele positive Emotionen. Ich war nicht gesund im Körper und im Kopf, zu wild, zu glücklich.“ Wenig geerdet. „Aber das brauchte ich.“

Dunkelheit: Wallis Birds Stimme ist rau, ihre Texte sind gefühlsgeladen. „Architect“ heißt das Album aus ihrer Anfangszeit in Berlin. Damals wohnte sie im Erdgeschoss und lebte vor allem nachts. „Es war eigentlich immer dunkel. Und in meinem Kopf war es auch dunkel.“ Das hört man auch.

Ankommen: Auf „Architect“ folgte „Home“, ihr bisher letztes Album. Nun könne sie sie selbst sein, sagt sie: „Jetzt ist die erste Zeit, wo ich denke: Schau mal, wer ich bin und was ich liebe und was wichtig für mich ist.“ Man hört in ihrer Musik, dass sie angekommen ist. „Ich war 15 Jahre immer unterwegs, habe immer aus einem Koffer gelebt und bin jetzt hier in dieser Wohnung mit meiner Freundin.“ Auch in ihrer Wohnung gibt es jetzt viel Licht. „Ich merke die Jahreszeiten.“ Die Sonne. „Im Sommer kommt sie sehr hoch und im Winter steht sie sehr tief.“ Zusammen mit Tracey betrachtet sie gern den Sonnenuntergang.

Instrumente dominieren die Inneneinrichtung Foto: André Wunstorf

Rollen: Bis zu ihrem letzten Album hatte sie in ihren Liedern nie „er“ oder „sie“ gesungen, fast nie ein Geschlecht benannt. „Jetzt singe ich immer über meine Freundin, meine persönliche Erfahrung, meine Beziehung mit meiner Frau. Das ist ein neues Leben für mich, einfach ‚woman‘ zu sagen.“

Gefühle: In ihren Liedern geht es viel um Liebe. „Die Liebe ist meine Hauptsache. Ich steh auf Liebe. Und das Ecstasy und die Befreiung, die man in der Liebe finden kann. Man muss verloren in Liebe sein, alles loslassen und einfach lieben, das ist das wichtigste Gefühl, das man haben kann.“

Gesichter: An der Wand in der Küche hängen Bilder. Ihr liebstes? „Die da, Ursula, die Haarschneiderin.“ Bird deutet auf das Porträt einer alten Frau. Jeden Tag sehe sie anders aus. „Ihr Gesicht erinnert mich an so viele Leute, sie hat so ein starkes Gesicht.“ Die Frau sehe sehr, sehr stolz aus, sagt sie. „She takes care of herself, you know?“

Haare: Nicht nur in Birds Musik spiegeln sich ihre Lebensphasen. Auch in ihren Haaren. Die Dreadlocks standen für ihre Studentenzeit. „Blonde Haare waren meine Luxuszeit.“ Jetzt ist ihr Kopf kurz rasiert, weil sie wieder von Neuem angefangen hat. Ein eigentlich maskuliner Haarschnitt sei es, sagt sie. „Und doch habe ich mich nie weiblicher gefühlt.“

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