Der Hausbesuch: Jetzt streckt sie die Hand aus
Petra Landers ist Fußballpionierin. Sie spielte bei WMs, als diese noch inoffiziell waren. Heute will sie Mädchen in Afrika den Sport beibringen.
Da ist eine 56-jährige Frau aus Bochum, die läuft, die sprintet, die mobilisiert ihre Kräfte, sie rennt, nimmt den Ball an, gibt ihn ab, immer weiter.
Draußen: Im Norden von Bochum, rund um die Backsteinkirche in Riemke, dem Franziskus geweiht, stehen alte Doppelhäuser. Hinter und zwischen den Häusern sind Gärten. Als Petra Landers' Vater noch lebte, wurden dort Tauben gezüchtet.
Drinnen: Einst mieteten die Eltern das Haus. Nach deren Tod sind Petra Landers, ihre jüngere Schwester und deren Tochter eingezogen. Unten, wo der Vater wohnte, lebt nun die Schwester mit der Nichte. Landers hat im ersten Stock, in der ehemaligen Wohnung der Mutter, zwei spartanisch eingerichtete Zimmer. „Ich bin kein häuslicher Typ, ich bin lieber draußen“, sagt sie.
Draußen sein: „Als Kind hatte ich unter meiner Jeans immer eine Sporthose an, falls Fußball gespielt wurde. Wurde ja auch – meist auf der Straße.“ Wenn nicht, zog sie mit ihren Freunden, alles Jungs, über die Felder. Sie fuhren Seifenkiste, bauten Hütten, durchstöberten die stillgelegte Zeche Bochum-Gerte, was verboten war. Einmal seien sie erwischt worden. Und? „Hausarrest“, sagt sie, „dazu die Höchststrafe: Ich musste im Rock in die Schule.“
Fußball: Petra Landers konnte spielen. Die Jungs wussten das. „Die haben mich akzeptiert.“ Wohl deshalb. „Die haben immer gespürt, dass ich gut war.“ Mit zehn Jahren durfte sie dann, obwohl ein Mädchen, regulär in der Jugendmannschaft beim FC Bochum mitmachen. Umgezogen hat sie sich in der Kabine des Trainers. In der Pubertät ging das nicht mehr.
Deshalb erlaubte man ihr, obwohl sie noch nicht das Mindestalter von 14 für Frauen im Fußball hatte, in der Frauenmannschaft von TuS Harpen zu spielen. Stürmerin war sie, mit Ballgefühl, „aber ich hab nicht für zwei gespielt, ich hab für den Verein gespielt. Das war effektiv.“ Sie macht es fünf Jahre, neben der Schule und einer Lehre als Kfz-Mechanikerin.
Mehr Fußball: Andere werden aufmerksam auf Landers. 1981 wechselt sie zum SSG 09 Bergisch Gladbach, dem damals stärksten Frauenfußballverein, „mit der besten Trainerin, Anne Trabant-Haarbach“. Landers ist jetzt 19 und spielt in der Abwehr. Noch im selben Jahr fährt sie mit dem Verein zur inoffiziellen Frauenfußball-WM, die in Taiwan stattfindet.
Inoffiziell, weil der Deutsche Fußballbund keine Frauennationalmannschaft hat. Deshalb werden die deutschen Meisterinnen vom SSG 09 Bergisch Gladbach hingeschickt – und gewinnen. Landers ist eine der inoffiziellen Weltmeisterinnen. Erst ein Jahr später hat der DFB ein Einsehen und baut eine Nationalelf auf.
Immer weiter: Landers ist dabei, ist Nationalspielerin, rennt, läuft, trainiert, fährt jeden Tag nach der Arbeit nach Bergisch-Gladbach, „einfach nur Fußball, also Bewegung“, sagt sie und zählt auf, warum das eine Lebensschule ist: Da waren der Verein, die Trainerin, das Zugehörigkeitsgefühl. „Man lernt gleichzeitig, sich durchzusetzen und sich unterzuordnen.“
Verletzungen: Landers läuft, aber es läuft nicht glatt, oft läuft sie gegen Verletzungen an. Zwischendurch muss sie drei Jahre pausieren wegen der Schmerzen und fängt dann, trotz der Schmerzen, wieder an. Ein Physiotherapeut renkt plötzlich ein, was lange uneinrenkbar schien.
Aber da ist noch eine Verletzung: Ihr Vater, stolz auf sie, wenn er mit seinen Kumpels redet, lobt sie nie, „der meinte höchstens: ‚Horch mal, da musste noch was verbessern.‘ “ Verletzungen erlebt sie natürlich auch in der Liebe. „Es hat eine Beziehung gegeben mit viel Eifersucht. Und eine, die toll gewesen war, aber schlimm endete.“ Mehr will sie nicht erzählen.
Das Tafelservice: 1988 ist sie wieder in der Nationalmannschaft. Endlich ein offizielles Turnier, bei dem sie dabei ist: die Europameisterschaft 1989. Einen Monat vor Beginn hat sie einen Kreuzbandriss, spielt trotz Schmerzen bis zum Halbfinale, dann geht es nicht mehr.
Die deutschen Frauen gewinnen das Turnier. Landers bekommt vom DFB, wie alle Spielerinnen, ein geblümtes Tafelservice namens Mariposa von Villeroy & Boch als Prämie. Ihr Porzellan tourt durch Ausstellungen. Kurz vor der ersten offiziellen Frauen-WM 1991 in China verletzt sie sich wieder. Es war das Ende ihrer fußballerischen Karriere: „Das Knie ist mir weggerutscht“ – und mit dem Knie das soziale Umfeld.
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Die Druckerei: Sie arbeitet inzwischen als Druckvorlagenherstellerin, lässt ihre aktive Zeit beim FC Bochum ausklingen, hat einen Autounfall und fällt von einem Kirschbaum. Danach muss sie mit dem Sport aufhören, übernimmt aber die Druckerei und macht sich 2003 selbstständig. Anfangs sei es gut gelaufen, aber je mehr sich Onlinedruckereien durchsetzten, desto weniger konkurrenzfähig war sie.
„Ich habe geschuftet wie ’ne Doofe und Steuern gezahlt für alles.“ Privatleben hatte sie kaum. „Ich habe die Arbeit wahrgenommen wie mein Fußballspiel. Ich hab alles gegeben.“ Einzige Ablenkung: die Vernetzung mit ehemaligen Spielerinnen und schnelle Autos.
Erinnerungen: Ein Film über die Anfangszeiten des Frauenfußballs soll gedreht werden. Ob sie mitmacht? „Ja klar.“ 2010 hat der Film Premiere. In der Folge lernt sie Leute kennen, die unter dem Label „Discover Football“ Turniere organisieren für Mannschaften aus Ländern, in denen Frauen nicht offiziell Fußball spielen dürfen. Vor allem fasziniert sie das Team aus Sambia – die Leidenschaft, der Zusammenhalt. Es bringt etwas in ihr zum Schwingen.
Das schlimme Jahr: 2012 wird klar, sie kann die Druckerei nicht halten. Liebeskummer kommt dazu. „Ende des Jahres habe ich auch noch mein Auto geschrottet.“ Einen Zweisitzer Roadster MX5, 3. Generation, karminrot. Sie fuhr die Straße entlang, hatte die Musik laut aufgedreht, merkte nicht, dass ihr Motor ratterte. Als sie es merkte, war der Motor irreparabel kaputt.
Bis heute hat sie nicht geschafft, einen neuen zu bekommen. Jetzt steht das Auto vor dem Haus unter der Plane. „Ich war so stolz, dass ich durch meine Arbeit so ein Auto erwirtschaften konnte.“ Im Jahr darauf bricht sie endgültig zusammen. „Eine dunkle Zeit.“ Der Vater stirbt 2013 auch. Kurz vor seinem Tod nimmt er sie einmal in den Arm. Es sei die erste Umarmung gewesen. „Ich hab nur geheult.“
Neu anfangen: „Schau nach vorn, nicht zurück“, sagt eine Freundin. Landers rappelt sich auf, macht den Übungsleiterschein für Breitensport, wird an einer Schule angestellt. 2015 fragt eine Kollegin, ob sie mit ihr eine Großtagespflegestelle aufmachen will. Sie überlegt, sagt ja.
Der Berg: Kurz danach wird sie auch gefragt, ob sie eine der 32 internationalen Fußballerinnen sein will, die nach Fifa-Regeln ein Spiel auf dem Kilimandscharo spielen in 5.715 Meter Höhe. Es war eine symbolische Aktion, um Gleichstellung, Respekt und Chancengleichheit für Frauen zu fordern – und ins Guinness-Buch der Rekorde zu kommen.
„Wir Frauen können alles schaffen, wenn wir es wollen, uns trauen, uns in einer Gruppe solidarisieren“, das war die Message. Landers fängt wieder an zu trainieren, rennt mit Atemmaske und Gewichtsweste Ruhrgebietshalden rauf. Im Sommer 2017 findet das Spiel statt. Sieben Tage steigen sie den Berg hoch, spielen, schaffen es.
Die Handreichung: Nicht nur der Kilimandscharo verbindet sie mit Afrika. 2014 fuhr sie zum ersten Mal auch nach Sambia. Sie hatte Kontakte zu Fußballerinnen und unterrichtete in Chawama, einem Vorort der Hauptstadt Lusaka, Mädchenfußball. Seither fährt sie oft dorthin. „Wenn ich in Sambia bin, sehe ich mich wieder als Jugendliche. Da laufen die rum wie wir früher, immer in Gruppen, immer in Bewegung, immer unterwegs, immer am Improvisieren. In Chawama ist es wie früher im Pott.“
In Sambia sind HIV, Mädchenheirat, Prostitution weit verbreitet. Weil eine Fußballerin ein Ziel braucht, will Landers dort eine Schule für Mädchen aufbauen, eine, in der auch Fußball gespielt wird. „Ich weiß, wie man sich durchsetzen kann – das kann ich weitergeben. Handreichung in diesem Armenviertel, das macht mich glücklich.“
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