piwik no script img

„Der Haß ist immens“

■ In Rumänien werden die Roma zu Sündenböcken für alle Mißstände / Die Presse liefert Hetzartikel

INTERVIEW

Brigitte Mihok ist Politologin und Autorin mehrerer Publikationen für die Roma.

taz: Sie waren vor kurzem in Rumänien. Hat sich nach Ihren Eindrücken an der Situation der Roma in Rumänien irgendetwas geändert oder verbessert?

Brigitte Mihok: Nein, keinesfalls. Es ziehen sich massive Ressentiments gegen Roma durch alle Schichten der Bevölkerung. Mit wem auch immer man Gespräche über Versorgungsschwierigkeiten führt, es kommt die Antwort: „Die Zigeuner sind schuld, die alles aufkaufen und dann für den vierfachen Preis weiterverkaufen.“ Das sind nicht nur drei Gespräche an der Straßenecke. Die Zeitungen sind voll mit Reportagen und Berichten über Mißstände, die angeblich von den Zigeunern verursacht worden sind. Sie sind schuld an der steigenden Kriminalität - eben an allem. Das sind schlicht und einfach Hetzartikel, obwohl nie ausdrücklich von „Zigeunern“ die Rede ist, sondern von „unseren Mitbürgern, die von Natur aus dunkelhäutig sind“. Und jeder weiß natürlich, wer gemeint ist.

Beziehen die Politiker der Nationalen Front in irgendeiner Weise Stellung?

Vor den Wahlen wurde kaum negativ über die Roma geredet. Man hat die Gründung mehrerer Roma-Verbände zugelassen, die zur Wahl Iliescus mitaufgerufen haben. Nach den Wahlen haben sich die Roma-Organisationen immer massiver gegen diskriminierende Berichterstattung zur Wehr gesetzt und auch an die Regierung appelliert. Ich weiß von keiner Äußerung Iliescus zu den Roma. Aber die Zeitung 'Adevarul‘, die als Sprachrohr der „Nationalen Front“ gilt, hat zum Beispiel vor zwei Wochen einen Artikel zu der Frage veröffentlicht, warum es in den rumänischen Läden momentan kein Bier gibt. In diesem Artikel wurde dann behauptet, Zigeunerbanden würden die Bierlieferungen abfangen und das Bier zum dreifachen Preis an den Ladenecken verkaufen.

Die Grenzen zu Ungarn, zur CSFR und zur Noch-DDR werden für Rumänen, und natürlich auch Roma, immer dichter. Wie reagiert man in Rumänien auf die neuen Reisebeschränkungen, wo doch überall die neue Freizügigkeit gepriesen wird?

Ich habe zur Zeit meines Aufenthalts noch keine Diskussionen oder Reaktionen mitbekommen. Ich befürchte aber, daß dies zusätzlich mißbraucht wird, um im Land Stimmung gegen die Roma zu machen. Die wirtschaftliche Situation ist miserabel, das Land ist in enormen Schwierigkeiten - da sind die Roma geradzu prädestiniert für die Rolle des Sündenbocks.

Befürchten Sie eine Eskalation bis hin zu neuen gewalttätigen Übergriffen?

Der Haß gegen Roma, den ich während meines Aufenthalts in der rumänischen Bevölkerung erlebt habe, ist so immens, daß ich mir das vorstellen kann. Ich habe Diskussionen erlebt, wo gesagt wurde: „Wie soll Rumänien zivilisiert werden, wenn hier ein paar Millionen Zigeuner leben. Mit denen müßte man sich irgendetwas überlegen.“ Weiteres habe ich mir lieber nicht ausgemalt.

Wie müßte das Ausland, das sich ja permanent über die Roma -Flüchtlinge beschwert, reagieren?

Es müßte Druck auf Iliescu ausüben. Im übrigen halte ich es für verkehrt, daß Bonn Millionen ins Land bringt, um die Situation der deutschen Minderheit in Rumänien zu verbessern und sie zum Bleiben zu bewegen, und gleichzeitig sich keinen Deut um die Situation der Roma kümmert. Auch vom Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, der sich ja verstärkt für die Bekämpfung von Fluchtursachen einsetzt, habe ich noch nichts zu den Problemen der Roma gehört. Die haben keine Lobby. Die sind wirklich von allen verlassen.

Gespräch: Andrea Böhm

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen