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Der Globalnix

von DOROTHEA HAHN

„José, José“, rufen die Fotografen aus den Kulissen. Der Mann mit dem weit ausladenden Schnäuzer ist mit einer Stunde Verspätung gekommen. Jetzt unterbricht er seinen Weg ins Rampenlicht, hängt die Pfeife in den Mundwinkel, nimmt einen Kumpel aus der Arbeitslosenbewegung in den Arm und grinst ruhig in die Kameras. Die Bilder dahinter haben sein Gesicht weltberühmt gemacht: Der Schafhirte vom Hochplateau Larzac als Gefangener in Handschellen. Der Schafhirte beim Handschlag mit Frankreichs Staatspräsidenten. Der Schafhirte auf dem Welthandelsgipfel von Seattle.

Über 1.000 Leute sind an diesem Abend in die stillgelegten südlichen Docks von Marseille gekommen. Sie sind gegen Genmanipulation. Gegen den „Dreckfraß“. Und gegen das „Diktat der Märkte“. Genau wie José Bové, von dem sie an diesem Abend klare Worte zur Lage der Welt erwarten. Von dem Mann, der den kleinen Roquefort gegen den Big Mac vor einem Jahr so heroisch verteidigte – und dafür ins Gefängnis ging. Die beiden größten Fernsehsender stritten um das erste Life-Interview mit dem Ex-Knacki, der so einfache wie einprägsame Sätze sagt. Dem Bauern, der Fanzösisch redet wie ein Städter. Und dem militanten Globalisierungsgegner, der den Pazifismus predigt.

Das Hochplateau Larzac und seine Schafe sieht er seither nur noch selten. Bové ist jetzt der „Asterix gegen die Globalisierung“ und ein „französisches Phänomen“. Sein Konterfei schmückt die Titel US-amerikanischer und französischer Magazine. In seiner Gewerkschaft ist er zum „Internationalen Sprecher“ aufgestiegen. Auch der rot-rosa-grünen Regierung passt diese populäre „Stimme aus der Zivilgesellschaft“ ins Konzept. Sie hielt ihrerseits wenig von dem Welthandelsabkommen, das die USA im vergangenen November in Seattle durchsetzen wollten.

In Marseille sagt Bové, es gäbe „keinen Unterschied zwischen den Arbeitern der Stadt und des Feldes“. Verteidigt das „Recht der Völker auf Nahrungsmittelsouveränität“. Bekennt: „Wir sind stolz, Kriminelle zu sein.“ Und ruft auf: „Zerstört Parzellen, die mit genmanipuliertem Saatgut bepflanzt sind. Das ist Widerstand mit Zukunft.“ Der Saal applaudiert stehend. Viele aus diesem Publikum werden Bové am 30. Juni nach Millau folgen. Während er und neun weitere McDo-Demontierer wegen „Sachschadens“ vor Gericht stehen, wollen sie eine Antiglobalisierungsfete veranstalten.

Für José Bové ist das Meeting in den Docks die vierte Veranstaltung des Tages. Morgens hat er mit der Presse diskutiert, mittags sein Buch: „Die Welt ist keine Ware“ – ein Bestseller mit 75.000 verkauften Exemplaren – signiert, nachmittags an einer Diskussion in der Jurafakultät Toulons teilgenommen. Jedes Mal hat er den Welthandel in griffige Sätze gefasst. Jedes Mal Reden frei gehalten. Je nach Publikum das kameradschaftliche „Du“ oder das distanzierte „Sie“ benutzt. Eine Anhängerin der rechtsextremen „Front National“ hat ihn ermuntert, „weiter gegen die Weltregierung“ zu kämpfen. Der Chef der Einzelhändler hat sich bedankt, „weil Sie die Kleinen verteidigen“. Der Vorsitzende der Menschenrechtsliga von Toulon hat ihn als „Kämpfer für die Freiheit“ begrüßt.

Am nächsten Morgen steht Bové auf einem Acker bei St.-Martin-de-Crau in der Provence. Zu seinen Füßen haben sich Kleinbauern aus der Region versammelt, um gegen ein neues Glastreibhaus zu protestieren. „Das werden Tomaten am Tropf“, sagen sie, „ohne Geschmack“. Mit herkömmlichen Anbaumethoden können sie maximal 15 Kilogramm Tomaten pro Quadratmeter ernten. Die gläserne Konkurrenz schafft locker 40 Kilo.

In der Crau machen jedes Jahr Dutzende Kleinbauern pleite. Allein zwölf Prozent aller französischen Pfirsiche kommen jetzt von einem einzigen Großbauern aus der Gegend. „Wenn das so weitergeht, bleiben von den 700.000 französischen Bauern in zehn Jahren nicht einmal 200.000 übrig“, sagt René Breguier, der sein Lebtag lang Aprikosen angebaut hat.

Aus der Ferne schauen ein paar Bauern mit verschränkten Armen zu. Sie nennen Bové einen „professionellen Agitator“ und „Spalter der Bauernschaft“. Im größten Agrarland der EU, dem zweitgrößten der Welt, kontrolliert bislang die FNSEA die Bauernschaft. Die Gewerkschaft sitzt in den Gremien, verschafft Zugang zu den Subventionen und hat die Kontakte „nach oben“. In der Regel zu konservativen Politikern. Die regierenden Sozialisten haben keine Bauernlobby. Die linke „Confédération Paysanne“ vertritt bislang nur 20 Prozent der Bauern. Ihre Kader hoffen auf den „Bové-Effekt“ bei den Wahlen zu den Landwirtschaftskammern im Januar 2001.

„Wohin geht es jetzt?“ fragt Bové, kaum haben die Demonstranten ein paar symbolische Tomatenpflänzchen auf den steinigen Acker gesetzt. Im Leihwagen hetzt er zum nächsten Termin seiner Polit-Tournee: 52 Départements in zwei Monaten.

Kurz vor Millau künden zwei rote Fahnen von McDo. Trotz der „Demontage“ im vergangenen August konnte der Imbiss fristgerecht eröffnen. Von dem einst auf eine Million Franc bezifferten Sachschaden ist längst keine Rede mehr. McDonald’s tritt beim Prozess am 30. Juni nicht einmal als Nebenkläger auf.

In Millau kommt keiner mehr an Bové vorbei. Auch nicht der konservative Bürgermeister Jacques Godfrain, der an Bovés „zahlreiche gewalttätige Aktionen“ erinnert. Dabei ist der 47 Jahre alte Bové ein Zugewanderter. 1971 hatte der Verteidigungsminister in Paris angekündigt, das Militärlager auf dem Hochplateau würde ausgebaut und 103 Bauern enteignet. In zahlreichen Städten gründeten Nach-68er „Larzac-Komitees“. Die bunte Widerstandsbewegung rückte das karstige Hochplateau und die Provinzstadt Millau in die Schlagzeilen – mit drei Happenings mit bis zu 100.000 Teilnehmern. 1981 annullierte der frisch gewählte sozialistische Präsident François Mitterrand die Erweiterung des Militärlagers.

Einer der städtischen Linken, die auf dem Plateau blieben, war Bové. Er brach ein Philosophiestudium in Bordeaux ab und besetzte mit Frau, Kind und Freunden den leerstehenden Bauernhof Montredon. Über 20 andere Städter taten es wie er. In der Region heißen sie „Néo-Bauern“.

Die „Néos“ brachten alternative Erziehung, Biolandwirtschaft, und ihr Engagement gegen die Atomenergie mit. Heute wählen die Leute auf dem Hochplateau sozialistisch, grün oder aus Prinzip gar nicht. Alt-Bauer Léon Maillé, der am 30. Juni mit auf der Anklagebank sitzt, erklärt: „Die Affaire Larzac hat hier alles geändert. Ohne sie wäre die Affaire McDo nicht denkbar“.

Auf den Traktoren und Felswänden im Larzac steht immer noch: „Libérez Bové“. Als sie die Parole pinselten, haben Bovés Freunde nicht erwartet, dass er weltberühmt würde. Im Larzac sind sie für kollektive Kämpfe und gegen Personenkult. Der plötzliche Rummel um ihn hat manche irritiert. Als Bové neulich einen sozialistischen Politiker gegen einen Korruptionsverdacht verteidigte, haben sie ihn zur Raison gerufen: „Du bist jetzt kein Privatmann mehr, sondern Sprecher unserer Gewerkschaft.“

Über das große Publikum, das sich plötzlich für Biobauern und die Gobalisierung interessiert, freuen sie sich. „Darauf haben wir jahrelang gewartet“, sagt Christian Roqueirol, Bovés Partner auf dem Gemeinschaftshof mit 550 Schafen. Selbst die Roquefort-Industriellen sind mit Bove als Zugpferd einverstanden. Als der Schafhirte im vergangenen November durch die USA tourte, gaben sie ihm kistenweise Käse mit. „Herr Bové ist gut für das Image des Roquefort“, sagt Jean-Pierre Laur, Juniorchef bei „Gabriel Coulet“, eine der sieben Marken, die den Fusionsprozess in der Schimmelbranche überlebt haben.

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