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Der Geist von Hauteville House

■ Victor Hugo und Guernsey: Eine widersprüchliche, aber fruchtbare Beziehung

Hauteville ist eine der ältesten Straßen in St. Peter Port, der Hauptstadt Guernseys. Das ganze Jahr über kann man hier französische Schulklassen beobachten, die, vom Hafen kommend, den Weg hinauf dem Haus Nr. 5 zustreben. Die Trikolore über dem Hauseingang signalisiert: Nationales Kulturgut ist angesagt. Hauteville House war von 1855 bis 1870 Domizil Victor Hugos, der hier den größten Teil seines beinahe zwanzigjährigen Exils auf den Kanalinseln verbrachte. Heute im Besitz der Stadt Paris, ist es zum Wallfahrtsort und Pflichtprogramm kulturbeflissener Franzosen und Schulklassen geworden.

Das dreistöckige Haus, dessen Inneneinrichtung von Hugo selbst entworfen und zum Teil selbst gefertigt wurde, ist ein Gruselkabinett der Geschmacklosigkeiten und doch ein anschauliches Zeugnis des romantischen Historismus. Wie andere Romantiker war Hugo der Sammelleidenschaft und dem Eklektizismus verfallen: Mittelalterliche, chinesische, orientalische und Empire-Möbel und Draperien sind hier in erdrückender Fülle aufeinandergeladen. Hugo war ein künstlerisches Multitalent: Doch der Schriftsteller, Maler, Graphiker und Kunsthandwerker hatte nicht immer seinen überbordenden Ideenreichtum unter völliger Kontrolle.

Auch der politisch engagierte Bürger Hugo war nicht ohne Widersprüche. In jungen Jahren schrieb er ein Krönungsgedicht für Karl X., und auch in seinem Mobiliar in Hauteville House ist seine Vorliebe für feudalistische Insignien und Schmuckstücke augenfällig. In das historische Bewußtsein der Franzosen ist er jedoch als aufrechter Republikaner eingegangen, der 1851 die Restauration des Kaiserreiches kritisierte und über Brüssel und Jersey schließlich nach Guernsey floh, um einer drohenden Strafverfolgung zu entgehen.

Hugos Verhältnis zu den britisch regierten Kanalinseln war immer ambivalent. Sie blieben für ihn ein Teil der Normandie, „ein Stück Frankreich, das ins Meer gefallen und von England aufgesammelt wurde“. Daß die zu Beginn des 19. Jh. noch französischsprachigen Inseln sich in den nachfolgenden Jahrzehnten immer mehr anglisierten, mußte er zur Kenntnis nehmen, aber mit Bedauern. Er selbst weigerte sich zeitlebens, die englische Sprache zu lernen.

Doch hat gerade Guernsey seine künstlerische Imagination fruchtbar angeregt: Sein neben „Die Elenden“ und „Der Glöckner von Notre Dame“ dritter großer Roman, „Das Teufelsschiff“ (1866 erschienen), spielt auf Guernsey und den benachbarten Douvres-Felsen. Die Geschichte des Fischers Gilliatt, der die Natur besiegt, doch seine menschliche Isolation nie überwindet, spiegelt Hugos Vision der Inseln als ein von Geistern und elementaren Naturgewalten beherrschtes Refugium.

Die Inselbewohner haben dem Geist von Hauteville House vor dem Guernsey Museum in St. Peter Port ein Denkmal gesetzt. Doch zwischen den britischen Kanalinseln und der Küste der Normandie ist mehr Distanz als nur ein paar Meilen Ärmelkanal: „The Frenchies come here to visit their national hero“, sagt der Taxifahrer in St. Peter Port spöttisch, als uns wieder eine französische Schulklasse auf dem Weg nach Hauteville House begegnet. Robert Zimmer

Literaturtip: Victor Hugo, „Das Teufelsschiff“. Diogenes Verlag, Zürich 1987

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