: Der Geist geht
■ Wesensverwandt: Die Gedichte Ingeborg Bachmanns und die Musik Werner Henzes / Ein ungewöhnlicher Konzertabend
Natürlich haben Dichtung und Musik etwas Gemeinsames und miteinander zu tun – aber passt das in einem Konzert zusammen? Und falls ja, wie? Denn nicht Oper ist gemeint, nicht Klavierlied, sondern der Textvortrag neben dem Orches-terwerk. Die Philharmonische Gesellschaft wagte jetzt den Versuch und bescherte dem Publikum einen außergewöhnlichen Konzertabend – weil er eben mehr war als das.
Mit Werken der Dichterin Ingeborg Bachmann und des mit ihr befreundeten Komponisten Hans Werner Henze wurde ein Künstlerpaar vorgestellt, das in einzigartiger Weise Wort und Musik zusammenzuführen suchte. „Eine Gangart des Geistes“ nannte Ingeborg Bachmann das einmal zutreffend.
Am Anfang ein Vortrag einiger Bachmann-Gedichte durch Christian Nickel. Der Schauspieler trug die Verse mit gedeckter Stimme vor, die unwillkürlich an die Stimme der Dichterin selbst erinnerte. Auf diese Weise evozierte er gleich zu Beginn eine Stimmung, die den Abend begleitete. Wer von dem Schauspieler einen dramatischeren Gestus erwartet hatte, musste sich zunächst mit den ganz leisen Tönen zufrieden geben. Seinen Höhepunkt erreichte Christian Nickel nach der Pause mit dem Gedicht „Reklame“, das er – genau so, wie es gedacht ist – quasi zweistimmig vortrug: mit säuselnder Stimme des Reklametextes einerseits und der festen Stimme des Fragenden andererseits, die mit der „Totenstille“ endet. Einige Gedichte weniger wären angesichts der komplizierten Sprache aber mehr gewesen.
Im ersten Konzertteil wurde die Nähe von Text und Musik in den „Nachtstücken und Arien“ frappierend deutlich. Die drei Nachtstücke umrahmen zwei Arien auf Bachmann-Gedichte, die von Nacht und Morgen, von Gewitter und Regen, Pflanzen und Tieren sprechen und deren Bedrohung durch den Menschen meinen. Solche Musik hatte man schon gehört und doch wieder nicht: Mendelssohns „Sommernachtstraum“-Stimmung ist Vorbild für den Beginn des ersten „Nachtstücks“, und Gustav Mahlers 7. Symphonie nicht weit. Doch auch wer diese Musik nicht erinnert, spürt Henzes Gestaltungswillen, „Nacht“ erfahrbar zu machen. Und das Bremer Publikum hörte mit gespitzten Ohren zu.
Nach der Pause einige weitere Gedichte und dann Henzes zweite Symphonie. Entstanden Ende der vierziger Jahre, also noch vor den „Nachtstücken“, hörte das Publikum eine spannende Musik, die freilich heute keineswegs mehr neu klingt. Erstaunlich, wie mit einigem historischen Abstand auch das früher Ungewohnte erkennbar zur Tradition wird. Nicht ganz klar ist aber, warum der Abend statt der 2. Symphonie nicht weitere Musik aus der Zeit der Zusammenarbeit zwischen Bachmann und Henze enthielt, etwa Zwischenspiele aus dem „Jungen Lord“. Noch klarer wäre dann ein künstlerisches Profil zu Tage getreten, das beider Entwicklung maßgeblich prägte. Denn Ingeborg Bachmann erwartete von Henzes Musik eine Art künstlerischer „Erlösung“ der historischen Belastetheit der Sprache, und Hans Werner Henze fand in Bachmann eine kongeniale Dichterin.
Das Philharmonische Staatsorchester bot eine überzeugende Aufführung, die einer ganzen Reihe von Mitgliedern auch Gelegenheit zu solistischer Darbietung gab. Davis Robert Coleman, für den erkrankten Günter Neuhold eingesprungen, leitete das Ensemble präzise durch die Partituren. Das vorbildliche Programmheft enthielt kundige Texte Eva Pinters. Es geht also, Text und Musik im Konzert zu verbinden, und das macht Freude auf den nächsten Versuch. Das interessierte Publikum dankte freundlich. Dr. Hartmut Spiesecke
Der Autor leitet zur Zeit die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft. Er promovierte über Ingeborg Bachmanns musikalische Poetik und war in Bremen Sprecher des Senators für Inneres, Kultur und Sport.
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