■ Der „Fall Dohnanyi“: Gelten für Juden andere Maßstäbe?: Keine Sonderanstandsregeln
Man stelle sich vor, ein deutscher Politiker würde im deutschen Parlament – von niemandem unterbrochen, von niemandem gerügt – den großen und in Theresienstadt gequälten Rabbiner Leo Baeck als Teil einer jüdischen Schieber- und Spekulantenbande bezeichnen. Es würde einen internationalen Aufschrei geben, der Politiker könnte seinen Hut nehmen, und der Bundeskanzler käme mit dem Entschuldigen gar nicht hinterher. Und das ist gut so, denn solch eine Behauptung wäre nicht nur antisemitisch, sondern auch gelogen und eine Schande für ganz Deutschland obendrein.
Was für die einen gilt, muß aber auch für die anderen gelten. Es ist eine Schande für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, wenn in Berlin, in der mit etwa 10.000 Mitgliedern größten Gemeinde, eine prominente Gemeindevertreterin in einer Gemeindeparlamentssitzung – von niemandem unterbrochen, von niemandem gerügt – den im Konzentrationslager ermordeten Widerstandskämpfer Hans von Dohnanyi als „Ariseur“ bezeichnen darf. Die Beweise für diese Behauptung ist die Repräsentantin, im Hauptberuf Rechtsanwältin, schuldig geblieben. Ihre nachträgliche Erklärung – der Begriff „prominente Ariseurfamilie“ sei ein „juristischer Terminus“ – macht die Sache nur schlimmer, weil die Familie eben nicht „arisiert“ hat.
Jüdische Normalität in Deutschland wird es erst geben, wenn für Juden und Nichtjuden ganz selbstverständlich dieselben moralischen Maßstäbe gelten. Nicht nur vor Gericht sind alle Menschen gleich. Klaus von Dohnanyi versucht die Geschichte diskret beizulegen. Das ist ehrenhaft. Dennoch ist der Vorfall keine interne Familienangelegenheit zwischen ehemaligen Verfolgten des Naziregimes, sondern ein erschreckendes Beispiel für den Verlust von Sitte und Anstand in einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Es gibt Gott sei Dank keine Sonderanstandsregelungen für Mr. X und Mrs. Y, sie für Juden zu fordern wäre antisemitisch. Anders ausgedrückt: Auch Juden haben ein Recht darauf, Verleumder genannt zu werden, wenn sie Verleumder sind. Anita Kugler
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen