■ Der Euro kommt. Fast alle EU-Staaten werden dabeisein. Die Verschiebungsdebatte ist doch nur Nebel fürs Wahlvolk: Jetzt oder nie
Nun kommt er also, der Euro. Auf Krücken zwar, aber fahrplanmäßig, am 1. Januar 1999. Auf Krücken und nicht so strahlend, wie er sein sollte, allzuviel Krummes muß er mitschleppen. Aber pünktlich. Wenn Sie das nicht glauben können, rufen Sie Ihren Banker in Zürich an. Er wird es Ihnen bestätigen.
Die Ankunft wird zwar erst im April 1998 ausgerufen werden. Doch schon ein Jahr zuvor sind sich alle Mitspieler einig, daß eine Verschiebung keinen Sinn ergäbe, ja, gefährlich wäre. Denn niemand darf es laut sagen, daß es kaum Grund für die Hoffnung gibt, im Jahr 2001 oder 2002 stünden die Chancen für den entscheidenden Sprung besser. Im Gegenteil. Wenn die Regierungen, die Zentralbanken, die europäischen global players und die internationalen Banken für sich und alle übrigen eine mittelfristige Prognose anstellen, so wird fast überall der gleiche Befund herauskommen: In vier Jahren wird die Aussicht für den politischen Kraftakt noch trüber sein. Denn es wird sich an der wirtschaftlichen Lage kaum etwas zum Besseren geändert haben; andererseits werden die europäischen Regierungen noch schwächer sein als heute schon. Also jetzt oder nie.
Im Klartext: Besser, die Staaten geben ihre Währungs- und Wirtschaftssouveränität rechtzeitig bei der Union ab, ehe sie sie de facto im wilden Markt verloren haben. Gewiß, mit dem Euro büßen die Nationen ein tragendes Element ihrer Staatlichkeit ein. Aber ohne Währungsunion können sie davon nicht einen Deut mehr davon bewahren, weil sie den Weltmarktkräften auch ohne Euro nicht weniger ausgeliefert sind. Tietmeyer hat es laut ausgesprochen: Der Euro ist unser Schicksal und damit unabwendbar. Wer sich nicht in dieses Schicksal hineinziehen lassen wollte, hätte schon 1985, spätestens 1990, vor Maastricht, ausscheren müssen.
Damals aber hatten alle noch glauben dürfen, die Währungsunion sei ein Bund der Stärke und der Starken, die nur ihre nationalen Interessen zusammenlegen würden. Wenige Jahre später wird der Euro zum Zwang aus Schwäche von lauter Schwachen, die sich aneinanderlehnen müssen, um nicht umzukippen.
Darum wird es auch keine Währungsunion in Stufen und kein Europa der zwei Geschwindigkeiten geben. Und von Anfang an werden fast alle dabeisein. Auch die Briten werden sich nicht lange zieren. Neulich machte ihnen der Sony- Konzern klar, daß es ohne Euro keine Sony-Investitionen mehr auf der Insel geben wird. Auch wenn die Briten dem Gespenst des Molochs Brüssel blind mißtrauen – vor den ehernen Geboten der Weltfinanzmärkte und der global players beugen sie sich ohne Widerspruch – und kommen eben auf diesem Weg zum ungeliebten Euro. Man ist es in London gewohnt, auf japanische Kommandos zu hören.
Wenn man die Italiener nicht draußen lassen kann, dann muß man auch die nicht weniger konvergenzschwachen Spanier mitnehmen, und dann in Gottes Namen auch die Portugiesen, die so europatreuen. Bleiben allein die nun wirklich unmöglichen Griechen, die Europa ohnehin nach Strich und Faden ausnützen. Werden sie allein die Schmuddelkinder bleiben müssen?
In drei Jahren, wenn die nicht sehr sittenstreng gezeugte Währungsunion schon im Laufställchen kriecht – bis sie ganz laufen kann, wird es ab 1999 noch drei Jahre dauern –, wird man sich nur noch dunkel an den Terror erinnern, den die Deutschen um die Euro- Moral veranstaltet hatten. Und man wird kaum noch die sagenhaften Lügenstrategien und die immer neuen Rauchvorhänge verstehen, die in den letzten drei Jahren vor der Euro-Geburt aufgezogen worden waren.
Das Europa der Exekutiven, das 40 Jahre lang die Öffentlichkeit bequemerweise nicht informierte, wirbelt in seiner letzten Phase große Wolken der Desinformation auf. Meister darin sind die Deutschen, das lag in ihrer Rolle als treibende und als stärkste Wirtschaftsmacht, die politisch nie auf ganz sicheren Füßen stand.
Wenn zum Beispiel der Finanzminister, wie letzte Woche geschehen, die Stabilität des Euro für wichtiger erklärt als seinen Einführungstermin, dann bewirkt die anscheinend so klare Information zuerst einmal Verwirrung. Waigel muß dabei in einem Netz mit kaum übersehbar vielen Koordinaten operieren. Er muß sich den Bundestags- und den bayerischen Landtagswählern von 1998 als verläßlicher Markwertwart empfehlen; er muß seinem Rivalen Edmund Stoiber, der sich gegen ihn als Euro-Warner in Szene setzt, eins auswischen und nebenbei noch dem SPDler Schröder, der seinerseits seine Kanzlerkandidatenrolle mit populistischer Euroskepsis aufschmälzt, ebenso Wind aus den Segeln nehmen wie dem ewig lästigen Koalitionspartner FDP; er will die Italiener ermutigen und sie zugleich zur Konvergenzdisziplin treiben, ohne doch die Franzosen zu verärgern, die mit letzten Kräften den 99er-Termin erreichen müssen, ehe dem System Chirac die politische Luft ausgeht; er muß nicht zuletzt die Finanzmärkte bei Laune halten und obendrein alles geduldig seinem Kanzler erklären, der aus der Haut fährt, wenn er das Wort „Verschiebung“ daherschleichen sieht. Über alle diese Motive stellen dann die Medien, die recht unterschiedlichen Herren und Interessen gehorchen, ihre Spekulationen an. Das Ergebnis kann nur Desinformation sein.
Wie die meisten europäischen Regierungen hantiert der deutsche Finanzminister mit ständig neu frisierten Hoffnungszahlen, „kreative Haushaltsgestaltung“ nennt das der zynische Schröder. So wird auf dem wirrnisreichen Weg zum Euro nebenbei eine der wichtigsten Qualitäten des Staates zerstört: die Glaubwürdigkeit seiner Statistik. Auf sie müssen die Bürger, wenn sie schon ihren Staat nicht schätzen, bauen können. Bringt die Dauerkrise, in der sich die Regierungen zum kreativ fälschenden Umgang mit Wirtschaftsdaten treiben lassen, das Vertrauen auf die Statistik – die Basis des modernen Staats – auf den Hund, so besorgt der Angstkurs auf den Euro den Rest. Wenn die Marktgemeinschaft ein Resultat der Schwäche der Nationalstaaten ist, so schwächen sich die Staaten obendrein, indem sie ihre Statistiken dem Opportunismus der jeweiligen politischen Situation ausliefern. Auch auf diese Weise erzeugen sie Euro-Depressionen. Und keine Hoffnung, daß sich dies, ist der Euro endlich erreicht, ändern wird. Unter den Bedingungen des nomadisierenden Weltkapitalismus sind die Staaten zum Schwindeln gezwungen wie nie zuvor. Claus Koch
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