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Der Erlöser mag kein Freibad

■ Baustelle: Moskau – eine Ausstellung betrachtet den Bauboom in Rußlands Hauptstadt

Nicht nur die Bundesrepublik Deutschland meint, ihre Hauptstadt aufmöbeln zu müssen. Auch in Moskau wird gegraben, hochgezogen und diskutiert. Und wie in Berlin sind Neubauten und Sanierungen auch in Moskau nicht einfach nur Gebäude, sondern Positionsbestimmungen einer Gesellschaft im Verhältnis zu ihrer Vergangenheit. Die Ausstellung Baustelle: Moskau der Fachhochschule Hamburg versucht, einen Eindruck von aktueller Moskauer Architektur und ihren Problemen zu vermitteln.

Das allgemeine Ziel der Moskauer Stadtplaner sei es, „die hauptstädtischen Funktionen Moskaus zu entwickeln“. Das soll heißen, Moskau zu einer Wissenschafts- und Dienstleistungmetropole umzubauen und dabei die Innenstadt zu reaktivieren. Die dabei auftretenden Probleme berühren das Herz der Geschichte.

Die begonnene Wiedererrichtung der Erlöser-Kirche wird aus diesem Grunde heiß diskutiert. Die Kirche wurde anläßlich des Sieges über Napoleon zwischen 1839 und 1883 errichtet und hat große Bedeutung für das russische Selbstverständnis: Sie diente als Wahrzeichen einer neugeschaffenen nationalen Integrität unter der Herrschaft des Zaren. 1932 rissen die Bolschewiki die Kirche ab. Das Vergangene sollte als Vergängliches gekennzeichnet werden, an dessen Stelle das Neue, der Palast der Sowjets treten sollte.

Der Palast wurde nie fertiggestellt, aber in den schon gegossenen Fundamenten wurde ein Freibad eingerichtet. Dieses schönste aller Denkmäler der Befreiung von der Arbeit wird jetzt mit der neuen alten Kirche überbaut. Nur, daß in der Neubebauung ständig „damit gerechnet werden muß, daß die alten Achsen des Palastes sich wieder bemerkbar machen“. Daß die alten Achsen der russischen Nation – Zarismus und Orthodoxie – sich wieder materialisieren, scheint kaum als Gefahr genommen zu werden.

Überhaupt wacht der Rat für Stadtplanung und Architektur streng darüber, daß nicht „Unmoskovitisches“ gebaut wird. Als der Rat einen Wettbewerb zur Umgestaltung einer riesigen Glasfassade ausschrieb, war klar, daß es hier auch um das Festschreiben eines stilistischen Kanons gehen würde. Das kleine unabhängige Architekturbüro AB beschreibt diese Tendenz abschätzig als „historisierend“. Tatsächlich entsteht dabei eine gefälschte Stadt: Häuser und Kirchen werden nicht entworfen, sondern kopiert. Die Fassade eines Hauses wird an anderer Stelle und in einer anderen Zeit nachgebaut.

Die historische Bedingtheit von Architekturstilen soll negiert, und einige wenige Spielarten als ,die essentiell russische Architektur' naturalisiert werden. Innovativere Geister müssen sich mit der Rolle der ,Papierarchitekten' bescheiden.

Matthias Anton

Mo-Fr, 8-20 Uhr, Fachochschule, Hebebrandstr. 1, bis 22. November

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