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Der Dauerpatient

Niemand steht so in der Kritik wie Frank Steffel – bei Parteifreunden wie den Wählern. Schon bringt ihm das Mitleidspunkte ein. Er muss CDU-Fraktionschef bleiben, denn tiefer kann er nicht mehr fallen

von STEFAN ALBERTI

Es gibt einen Punkt, von dem es bei einem Politiker kaum tiefer geht. Der ist erreicht, wenn selbst die Gegner Mitleid haben. Frank Steffel, seit Monaten unter Beschuss und Dauerpatient politischer Intensivpflege, hat diesen Punkt als CDU-Fraktionschef erreicht. Persönliche Vorwürfe und ein vom Abgeordneten Karl-Georg Wellmann verbreitetes Antipapier werden selbst von seinen Kritikern um Exsenator Peter Kurth und die Fraktionsvize Mario Czaja und Monika Grütters als „unqualifiziert“ bezeichnet. Krachen soll es morgen bei der Klausurtagung der Fraktion. Ein vorzeitiger Wechsel an die Spitze – Steffel ist bis 2004 gewählt – gilt aber als unwahrscheinlich.

Steffel ist seit mehreren Schnitzern bei seiner Spitzenkandidatur und der verheerenden CDU-Wahlniederlage im Oktober 2001 nicht aus der Kritik herausgekommen. Regelmäßig fährt er bei Umfragen die schlechtesten Werte ein. Selbst unpopuläre Maßnahmen des rot-roten Senats und die rot-grüne Misere auf Bundesebene halfen ihm nicht weiter. Während sich die CDU deutlich verbesserte und derzeit bei Abgeordnetenhauswahlen vor der SPD läge, verschlechterte sich Steffel im zurückliegenden Monat nochmals deutlich. Ohne Steffel hätte man noch mehr zulegen können, hieß es gestern aus der Union.

Die negativen Sympathiewerte wirken sich auch auf den Kassenstand der finanziell offenbar klammen Berliner Christdemokraten aus. Laut Parteischatzmeister und Deutschbänker Marc Aurel von Dewitz, im Mai mit Parteichef Christoph Stölzl ins Amt gekommen, wollen etliche Unternehmen so lange nicht für die CDU spenden, wie Steffel im Amt ist. Fraktionsgeschäftsführer und Steffel-Vertrauter Frank Henkel hält es hingegen für „hahnebüchen“, sinkende Spendenbereitschaft an Steffel festzumachen. Henkel fordert wie Fraktionsvize Kai Wegener die Steffel-Gegner auf, Klartext zu reden und einen Abwahlantrag zu stellen.

Die Gegner aber räumen selbst ein, dass sie derzeit noch nicht einmal eine einfache, geschweige denn die für eine vorzeitige Abwahl erforderliche Zweidrittelmehrheit zusammenbekommen. Der als aussichtsreicher Gegenkandidat gehandelte Peter Kurth wäre nach einer Abstimmungsniederlage politisch verbrannt. Der erst 32-jährige Haushaltspolitiker Nicolas Zimmer, der sich als möglicher Fraktionschef selbst ins Gespräch gebracht haben soll, sicherte Steffel gestern seine Loyalität zu – bis 2004. Eine Kandidatur danach schloss er nicht aus.

Zimmer, auch parlamentarischer Geschäftsführer, galt bislang als Steffel-Mann. Dass Steffel vorzeitig eine Vertrauensfrage stellt, bei der eine einfache Mehrheit ausreicht, hielt Fraktionsvize Wegener für überflüssig: Die jüngste Kampfabstimmung zwischen Steffel und seiner Stellvertreterin Monika Grütters über den Rundfunkratssitz der CDU sei doch „ein Stück weit“ die Vertrauensfrage gewesen. Steffel hatte sich mit 18 zu 13 Stimmen durchsetzen können. Bei einer Stimme weniger hätte er unter der absoluten Mehrheit in der 35-köpfigen Fraktion gelegen.

Die Führungsfrage wird daher voraussichtlich nur dann vor 2004 akut, falls das Verfassungsgericht nächste Woche wegen CDU-interner Querelen in Steglitz-Zehlendorf die Abgeordnetenhauswahl für ungültig erklärt und binnen 90 Tagen Neuwahlen anstehen.

Die aktuelle Attacke auf Steffel findet sich in einem anonymen Papier, das seit Dienstag in der Fraktion kursiert. Unter der Überschrift „Warum braucht die CDU einen Wechsel an der Spitze der Fraktion?“ fasst es in fünf Punkten die bisherige Kritik an Steffel zusammen: Der Fraktionschef sei zu unpopulär, stelle Erfolge der Diepgen-Zeit in Frage, gebe sich im Parlament staatsmännisch, statt die Senatspolitik pointiert zu attackieren. „Er fällt gegenüber den Fraktionsvorsitzenden von FDP und sogar den Grünen deutlich ab“, heißt es in dem Papier. Zudem fehle Steffel ein integrativer Führungsstil. Entscheidungen würden im „Küchenkabinett“ getroffen, wichtige Positionen sachwidrig besetzt.

Der Abgeordnete Wellmann räumte gestern in einer Sondersitzung der Fraktion ein, das Papier verteilt zu haben. Er gilt als einer der schärfsten Kritiker Steffels und hatte ihn bereits vor 14 Tagen zum Rücktritt aufgefordert. „Ich glaube, dass er damit sich und der Berliner CDU sehr viel weiteren Schaden erspart“, sagte Wellmann dabei.

In der Sondersitzung wandte sich Steffel auch gegen vom SFB berichtete persönliche Vorwürfe. Er habe weder Reisen und Kosten für Bundesparteitage noch eine Wahlkampfreise nach Bayern im Juli und August 2001 über die Fraktion abgerechnet. „Die bösartig verbreiteten Gerüchte um meine persönliche und berufliche Integrität als mittelständischer Unternehmer sind haltlos und falsch“, sagte Steffel. Er sprach von einer seit Monaten andauerenden ehrabschneidenden Kampagne, die ihn und seine Frau erschüttere.

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