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Der Corpus DDR verendet unter Beifall und Tränen

■ Das Szenario wurde mit deutsch-deutscher Gründlichkeit durchgezogen

Mit ihrer Unterschrift unter den Staatsvertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion haben die Finanzminister der DDR und der BRD, Romberg und Waigel, im fernen Bonn das Schicksal des Arbeiter- und Bauernstaates besiegelt. Der Corpus DDR verendet nach einem mit deutsch -deutscher Gründlichkeit ausgearbeiteten Szenario unter dem Beifall oder den Tränen seiner Bewohner.

Noch wissen weder die einen noch die anderen, wie dieser runtergewirtschaftete 16-Millionen-Zwerg den Sprung in die ersehnte Marktwirtschaft verdauen wird. Ob, wie Kanzler Kohl verspricht, Brandenburg, Sachsen, Thüringen, Mecklenburg/Vorpommern und Sachsen-Anhalt blühende Landschaften werden, oder seine Gegenspieler recht behalten sollten und die Ex-DDR zum Sizilien Deutschlands mutieren wird.

In dem die Alten und Frauen den Kindern an lauen Abenden von den längst vergangenen Zeiten erzählen werden, in denen weder Milch noch Honig flossen, doch die Straßenbahnfahrt nur zwanzig und das Brötchen fünf Pfennige kosteten. Derweil versuchen die Väter, Söhne und Gatten im Wessiland, an den Werkbänken der prosperierenden Un ternehmen ihre Herkunft zu leu gnen.

Abends werden sie sich dann mit ihren Leidensgefährten in Köln, Bremen oder München beim „Sachsen“ oder „Mecklenburger“ treffen, um ihre Neurosen und Sehnsüchte in verstaubten Club-Cola- und Kristall-Wodka-Flaschen zu ersaufen.

Kaum zu glauben, daß aus dem „Hüben und Drüben“, den „Ossis und Wessis“, so schnell, wie Premier de Maiziere glaubt, ein deutsches Volk entsteht. Auch wenn kein DDR-Produkt mehr in den Kaufhallen an die eigene Geschichte erinnert und die bohrende Frage der Enkel nach der Schuld der Großväter nicht mehr mit Kuczynskis Sprüchen ad acta gelegt werden kann. Der ewige DDRler bleibt in uns, auch wenn Mallorcas Sonne unsere Körper streift und die Deutschmark in der Tasche klimpert.

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