Der Bunte Bahnhof Cottbus: Charmedröhnung hippiesker Lebensart
In Cottbus gibt es mit dem Bunten Bahnhof einen Ort, wie er in Berlin immer seltener anzutreffen ist. Im Sperrmüll-Ambiente findet die Kultur hier Raum.
Philipp Gärtner, der den Bunten Bahnhof mit FreundInnen vor fünf Jahren unter seine Fittiche nahm, ist in einem Nebenzweig seiner Tätigkeiten in der Wohnungsauflösungsbranche tätig – auch deshalb sind die Wände in der Halle und im Außenbereich des früheren Bahnschuppens liebevoll mit Bildern und Zierrat von Tante Anni, Onkel Gustav, Oma Kronmann und Opa Lausitz dekoriert. Das erinnert leicht an entsprechende Bars im Norden von Neukölln: Antischleiflack- oder Antidesignlooks, ohne dass hier gegen irgendeinen Geschmack etwas auszusetzen wäre.
Nur dass dieser Ort gleich am Hinterausgang so unbefremdend, so gastlich, so freundlich einen einnimmt. Draußen sind die Holzplanken der Böden recht neu, aber sie verdecken, was dort geleistet werden musste: Schienen lagen dort, kaum zu sehen, wegen der ultrastacheligen Brombeerhecken. Die Bahn nutzte dieses Quartier als Schuppenensemble, das indes nicht mehr gebraucht wurde.
Philipp Gärtner, der sich kulturell in eigener Sache wie in der anderer der Subkultur, dem Rock und dem Blues, dem Metal und anderer zugeneigt ist, sagt, dass es ein Elend sei, dass die Linke, wie in Leipzig aktuell oder sowieso in Berlin, sich so zerzankt. So sei das mit dem Widerstand gegen rechts nicht zu halten – man sei doch insgesamt immer gegen Gewalt, Menschen sollten ohne Gewalt miteinander auskommen, nicht ausgrenzend, lieber feiernd als schadenfroh noch den letzten ideologischen Zwist austragen wollend.
Die Besonderheit
Der Bunte Bahnhof ist das Haupthaus einer ganzen Ansammlung kultureller Stätten am Hauptbahnhof. Einst war das Areal ein Güterschuppen mit Gleisanschluss. Am Outdoorbereich werden gleich hinter der Holzwand Waggons rangiert – so langsam, dass die Geräusche der Bewegung beruhigend klingen.
Das Zielpublikum
Alle, sagt der Kopf des Bunten Bahnhofs, Philipp Gärtner. Anfügen müsste man: Offenbar nicht jedoch jene, die auf der anderen Seite des Schienenstrangs leben. Die haben sich schon über den Lärm aus dem Bunten Bahnhof beschwert, auch schon vor 20 Uhr.
Der Bahnhof und die taz
Am Samstag, 7. September, findet ab 10 Uhr im Bunten Bahnhof das 3. und letzte taz Panter Forum mit dem Schwerpunkt auf Brandenburg statt. Programm: taz.de.
Mit Plakaten und Parolen tapeziert
Und so hält er es auch mit seinem Projekt, das aus einem gastronomischen Bereich besteht und andererseits aus einem sozialarbeiterischen. Man kommt im Übrigen durch eine schmale Tür tagsüber, schon von außen ist fast jeder Quadratzentimeter mit Plakaten und Parolen tapeziert, dies alles zu lesen ist aufwendiger als jede Zeitungslektüre. Immerhin fehlen propalästinensische Drohzeichen, das beruhigt.
Innen geht man durch einen langen Flur, links die Toiletten, rechts Küche und andere Wirtschaftsräume, ehe man die Halle erreicht, die Bühne, die Bar: ein Fest an Geschmackseklektizismus, alles durcheinander – und dazwischen, zufällig zu Gast, ohne Schrecken vor diesem Sammelsurium an Dingen, die trotzdem nicht die Luft für das Wesentliche nehmen, Gärtners Mutter, die einfach mal zu Besuch ist.
Woran es gebricht, langfristig, ist eine gute Heizung für den Winter, am besten eine Wärmepumpe, der Größe des Objekts angemessen, momentan läuft der heizintensive Betrieb jenseits der warmen Monate über Elektrizität. Das ist immer teuer, aber es fehlt am Finanziellen, um die Ökotransformation zu bezahlen – und der Rat der Stadt Cottbus ist nach den jüngsten Kommunalwahlen auch nicht gerade so aufgestellt, dass man dem Bunten Bahnhof als Standortfaktor des Undergrounds hinterherliefe.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Und darauf könnte es ja hinauslaufen: Diese Location, in der das Frühere im Heutigen aufs angenehmste aufgehoben ist, ist ein Werbefaktor. Und Philipp Gärtner weiß das.
In Berlin fehlt es KünstlerInnen und Bands und andere Kulturschaffenden an Proberäumen, Ateliers und überhaupt Willkommensflächen, in denen sie nicht abgezockt werden, ökonomisch. Im Bunten Bahnhof wäre ihnen alles möglich, man müsste in diese Richtung expandieren, zusammen mit den Galerien drumrum oder dem Antiquariat gegenüber. Die Fahrt mit der Bahn braucht ja nur 70 Minuten: Im Bunten Bahnhof ist die ohnehin schöne Stadt Cottbus am allerschönsten. Gute Leute in liebevoller Einrichtung, die auch beleuchterisch nach 18 Uhr einen Hang zum Hellen, doch zugleich perfekt Gedimmten hat.
Respekt vor dem Anderen
Das Kulturprogramm scheint kuratiert, als ob ein freier Geist alles beieinanderhält. Die Leute vom Bunten Bahnhof wissen, dass ihr Haus der (Sub-)Kulturen nicht allen gefällt – was sie wollen, auch dies zeigt er innen wie außen, ist Respekt vor dem Anderen.
Philipp Gärtner, geborener DDR-Bürger, gewordener Bundesdeutscher, gebürtiger und bekennender Cottbuser, nennt auf die Frage, was dieser Ort für ihn bedeute, nur dieses Wort: „Healing“, ein Ort der Heilung. Wenn dann noch ein neues Dach gedeckt werden könnte … dann wäre es in Zukunft ein upgecycletes Paradies.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Wissenschaftlerin über Ossis und Wessis
„Im Osten gibt es falsche Erwartungen an die Demokratie“