Der Bundestag nach dem Debakel: Großer Zoff statt großer Wurf
Mit einem Schlagabtausch, aber ohne klares Ergebnis endet eine dramatische Woche im Bundestag. Die Lösung für die Eurokrise ist aufgeschoben.
BERLIN taz | Europa-Gipfel mangels einer Einigung zweigeteilt, Regierungserklärung mangels einer Entscheidung abgesagt, Parlamentarier mangels ihrer Beteiligung empört: Am Freitag, dem Tag nach der großen Euro-Blamage, ringt Berlin um Schadensbegrenzung – und um die Deutungshoheit, wer die Schuld daran trägt, dass Europa statt des erwarteten "großen Wurfs" der Welt nur großen Zoff liefert.
Am Donnerstag war bekannt geworden, dass beim EU-Rat, dem Treffen aller 27 Staats- und Regierungschefs am Sonntag, keine Entscheidungen über das Eurorettungspaket fallen sollen. Der deutsche Anteil am Paket beträgt 211 Milliarden Euro. Beschlüsse solle es erst bei einem zweiten Gipfel am kommenden Mittwoch geben.
Die FDP hielt am Freitag daran fest, dass für diese Verschiebung vor allem Frankreich verantwortlich sei: Das Land bestehe darauf, den Eurorettungsschirm EFSF mit einer Banklizenz auszustatten und ihm damit direkten Zugang zu Krediten der Europäischen Zentralbank (EZB) zu gewähren, was eine Staatsfinanzierung über die Notenpresse bedeuten würde.
"Das wollen die Kollegen, Freunde und Partner in Frankreich", sagte FDP-Vorsitzender Philipp Rösler. "Genau das wäre mit uns nicht zu machen." Dazu passen Berichte, Merkel habe bei einem Treffen mit den Spitzen der Oppositionsfraktionen geklagt, Frankreichs Präsident Nicholas Sarkozy bewege sich "keinen Millimeter".
Dieses angebliche Merkel-Zitat dementierte Regierungssprecher Steffen Seibert und bestritt, dass es überhaupt eine "grundsätzliche deutsche Uneinigkeit mit Frankreich" gebe.
Hintergrund der Aufteilung des Gipfels sei schlicht und ergreifend, dass die Leitlinien des Rettungsschirms, die auch die umstrittene Hebelwirkung regeln sollen, "noch nicht sorgfältig genug im Detail technisch erarbeitet worden sind", so Seibert.
Kein Mandat für Brüssel
Deswegen könne auch der Haushaltsausschuss des Bundestags noch nicht entscheiden – und ohne einen solchen Beschluss habe Merkel kein Mandat für eine Entscheidung in Brüssel.
Verhandelt wird nach Angaben aus Regierungskreisen vor allem über ein Modell, bei dem der Rettungsfonds nicht selbst Staatsanleihen von Problemstaaten der Eurozone kauft, sondern privaten Investoren in Form einer Versicherung einen Teil des Ausfallrisikos abnimmt.
So könnte mit der gleichen staatlichen Geldsumme mehr Wirkung erzielt werden – wobei das Verlustrisiko für die Staaten entsprechend steigen würde. Bei der Bundestagsentscheidung über die EFSF-Ausweitung im September hatte die Regierung solche Berichte noch als Spekulation zurückgewiesen.
Ein Hebel mit Risiko
Die Opposition ist empört und fordert eine neue Entscheidung des gesamten Bundestags - nicht nur des Haushaltsausschusses, wie von der Regierung vorgesehen.
Immer wieder hatte die Opposition bemängelt, dass der Bundestag bei der Eurorettung ignoriert wird. "Das Parlament wird nicht umgangen", sagt der FDP-Abgeordnete Lars Lindemann.
"Über den Hebel muss der Bundestag entscheiden", entgegnete der SPD-Abgeordnete Carsten Schneider am Rande des Haushaltsausschusses am Freitagnachmittag. Denn mit dem Hebel erhöhe sich das Risiko, dass Deutschland die Kosten tragen müsse.
"Menschlich unfein"
Da kam Schneider gerade aus einer Sitzung, in der es hoch hergegangen war. Als "teilweise menschlich unfein" beschrieben Teilnehmer den Umgang der Abgeordneten untereinander, Schneider selbst nannte die Atmosphäre "bissig". Zuvor hatte die Opposition eine Anhörung zum Rettungsschirm für Anfang kommender Woche beantragt - die Regierungsfraktionen lehnten ab.
"Der Bundestag wird unnötig unter Zeitdruck gesetzt", sagte Schneider, schließlich wisse man erst kommende Woche, wie das abschließende Rettungspaket in allen Details aussieht.
Wenn alles nach Plan läuft, wird am Wochenende zunächst von den EU-Finanzministern und dann von den Regierungschefs ein Hebelmodell gefunden, mit dem alle Beteiligten leben können. Damit könnte sich dann Anfang kommender Woche der Haushaltsausschuss des Bundestags beschäftigen, sodass das Modell am Mittwoch beim zweiten Teil des EU-Gipfels offiziell beschlossen werden könnte.
Warten auf den großen Wurf
Auch zu weiteren Themen werden Beschlüsse erwartet: So hieß es aus Regierungskreisen, dass sich Deutschland in der Frage der Rekapitalisierung von Banken damit durchsetzen konnte, dass diese zunächst am Markt erfolgen solle; nur wenn das nicht gelinge, sollten Staaten einspringen. Und in Sachen Griechenland mehren sich Hinweise auf eine stärkere Gläubigerbeteiligung und die Freigabe der nächsten Kreditrate.
Doch vom "großen Wurf", auf den alle warten, ist das noch immer weit entfernt. Für wesentliche offene Fragen wie die nach den wirtschaftlichen Ungleichgewichten innerhalb der Eurozone und dem Mangel an Koordinierung der Wirtschaftspolitik wird bei diesem Gipfel vor lauter Symptombekämpfung wieder kaum Zeit bleiben.
Ob es wenigstens dafür reicht? Ohne eine Lösung sei "jeder weitere Tag eine Gefahr", sagte SPD-Mann Carsten Schneider, "für Europa und die wirtschaftliche Entwicklung in der Welt". Auch das ein Satz, den man so ähnlich in Berlin oft hört in diesen Tagen. Aus allen Fraktionen.
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