■ Der Bundestag debattiert über den Haushaltsplan 1997: Was Politik noch vermag
Worüber reden die bundesdeutschen Spitzenpolitiker während ihrer viertägigen Generaldebatte über den Haushalt eigentlich? Können sie überhaupt noch über Politik verhandeln? Da geht es um Haushaltskonsolidierung möglichst mit gleichzeitiger Steuersenkung (wollen alle), da wird geredet über Blockaden (wirft jeder jedem vor), darüber, was man nicht hätte tun sollen (zum Beispiel die deutsche Einheit über die Sozialversicherung finanzieren) und künftig nicht tun soll (die sozial Schwachen be- und die Reichen weiter entlasten). Da streiten sich die Redner stundenlang über Kindergeld, als ob von diesem lächerlichen Almosen an die Familien Wohl und Wehe der Gesellschaft abhinge.
„Mit ihrer Politik wird die Zukunft verspielt“, wirft Rudolf Scharping der CDU vor; Schäuble zufolge gefährdet hingegen die SPD die Zukunft durch ihre Blockade der Sparmaßnahmen. Aber was verstehen diese Herren unter Zukunft, welche Konzepte haben sie dafür zu bieten? Die Politiker, das zeigt diese Debatte erschreckend deutlich, wissen immer noch nicht, was es heißen könnte, unter den Bedingungen gigantischer Staatsverschuldung Politik zu machen.
Das größte Problem, die Arbeitslosigkeit, bleibt ungelöst. Selbst der Bundeskanzler räumt ein, daß trotz all der günstigen Wirtschaftsdaten, die er seinen Kritikern vorhält, die Arbeitslosigkeit nicht zurückgehen werde. Fragt sich, kann der Staat überhaupt noch etwas tun, um Arbeitsplätze zu schaffen? Die Konjunktur durch staatliche Investitionen antizyklisch zu beleben, dazu fehlt das Geld.
Die Redner der Opposition beklagten zwar einhellig, daß die Regierung den Habenichtsen in die Tasche greife und die Wohlhabenden ungeschoren davonkommen lasse. Doch diese Umverteilung nach oben wird nicht zuletzt durch die aktuelle Staatsverschuldung begünstigt. Jede vierte Steuermark, die der Bund vorwiegend von Arbeitern und Angestellten einnimmt, verteilt er zwangsläufig an die Vermögenden um: als Zinsen an die Besitzer von Bundesanleihen oder -schatzbriefen. Jetzt zu hoffen, daß der Staat durch großzügige Ausgaben für Soziales und für Arbeitsbeschaffung einspringe, kann daher nicht im Interesse linker Politik sein. Nicola Liebert
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