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Der Botschafter als Kasper

Würde Christoph Harting macht bei der Siegerehrung den Hampelmann und sorgt für Empörung. Die Hymne ist vielen Deutschen wieder mal wichtiger als der Sport

Ein Tänzchen in Ehren: Christoph Hartings Siegerehrungsshow von Rio Foto: Michael Kappeler/dpa

Von Andreas Rüttenauer

Darf der das? Als Sieger eines Wettbewerbs der Hymne zunächst mit verschränkten Armen lauschen, dann mitpfeifen und sogar ein paar Tanzschritte einstreuen, während zur deutschen Nationalhymne die Fahne im Olympiastadion gehisst wird? Dem übertragenden ZDF das Siegerinterview verweigern und auch bei der obligaten Pressekonferenz nach dem Wettkampf kaum etwas sagen? Christoph Harting hat am Samstag in Rio de Janeiro einen wahrhaft denkwürdigen Auftritt hingelegt.

Zunächst sicherte er sich in einem verrückten Wettbewerb mit dem letzten Wurf olympisches Gold vor dem lange führenden Polen Piotr Małachowski und dem überraschend starken Deutschen Daniel Jasinski. Eine tolle Geschichte, dass der sechs Jahre jüngere Bruder des Olympiasiegers von London, einen Tag nach dessen Scheitern in der Qualifikation, Gold geholt hat.

Noch toller war dann sein Auftritt auf dem Treppchen während der Hymne. Nicht wenige Kommentatoren, notorische Hasstwitterer, aber auch Kolleginnen aus dem Athletenkreis fanden sein Getanze und Gepfeife unwürdig. Sebastian Beyer, der mal Europameister im Weitspringen war, zwitscherte: „Gold im Diskus ist echt super geil!!! Aber für dieses Verhalten schäme ich mich in Deutschland vor dem TV! Sorry aber dann würde ich lieber auf diese Medaille verzichten …“ Ähnlich sieht es die dreifache Olympiasiegerin im alpinen Skisport, Maria Höfl-Riesch, die ebenfalls via Twitter ihre Sicht der Dinge verbreitete. „Besser Silber mit Stil als Gold ohne Stil“, meinte sie auch in Anspielung auf Angelique Kerber, die sich in ihren Augen als Finalverliererin wohl würdig verhalten hat. Dazu kam noch der übliche Twitter-Schmu unverbesserlicher Deutschtümler, für die das Verhalten Hartings vor allem deshalb so verachtenswert ist, weil er als Bundespolizist auch noch Staatsbediensteter ist.

Bevor sich Christoph Harting in der ARD erklärte, und sein Verhalten damit begründete, dass er noch im Wettkampfmodus und „hormontechnisch völlig übersteuert“ gewesen sei, war er schon von den obersten deutschen Sportfunktionären gerüffelt worden. „Was er da aufgeführt hat bei der Siegerehrung, das war nicht gut, denn er ist ein Mitglied unserer Mannschaft und Botschafter unseres Landes“, sagte der Chef de Mission der Deutschen, Michael Vesper. Auch Dagmar Freitag (SPD), Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, kritisierte Harting mit Verweis auf dessen Vorbildfunktion.

Die Regeln sind ­eindeutig: Harting durfte rumkaspern, wie er wollte

Hat der Olympiasieger also etwas falsch gemacht? An die Regeln jedenfalls hat er sich gehalten. Wie für so viele Dinge bei Olympia gibt es auch für Siegerehrungen eine Handreichung des Internationalen Olympischen Komitees. Im „Protocol Guide“ des IOC steht, dass die Sportler in der offiziellen Teamkleidung zur Siegerehrung zu erscheinen haben. Außerdem ist festgehalten, dass sie sich aller politischen und religösen Äußerungen enthalten müssen. Weiteres ist nicht geregelt. Harting durfte also rumhampeln, wie er wollte.

Und doch ist es nicht verwunderlich, dass in einem Land, in dem bei jedem Länderspiel der Männerfußballnationalmannschaft ganz genau hingesehen wird, wer nun die deutsche Hymne vor dem Spiel mitsingt und wer nicht, ein Shitstorm über einen Sportler he­reinbricht, der ein wenig rumkaspert, während die deutsche Fahne gehisst wird. Nicht auszudenken, wie heftig ein Empörungssturm ausfallen würde, wenn ein Sportler mit Migra­tionshintergrund zur Hymne nicht strammstehen würde. Und es sagt auch viel über die Sportnation Deutschland, dass ein Sportler, der kurz zum Kasper wird, für mehr Empörung sorgt als das miese Management der olympischen Bewegung durch IOC-Präsident Thomas Bach.

Dass man beim Thema Hymne auch gelassen bleiben kann, wird beim Blick auf Großbritannien schnell klar. Bei der Siegerehrung für die britischen Goldmedaillengewinner in der Mannschaftsverfolgung auf der Bahn streckte Radsport­heros Bradley Wiggins der Weltöffentlichkeit kurz die Zunge raus, was seine Teamkollegen umgehend zum Lachen brachte. Niemand ist in Großbritannien auf die Idee gekommen, Wiggings und Co. als unwürdige Bot­schafter ihres Landes zu bezeichnen.

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