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Der Boom der ArchäologieUnterirdisch

Römische Schlachtfelder in Niedersachsen, mittelalterliche Keller in Hamburg: Warum graben Menschen im Boden, um die Vergangenheit hochzuholen?

Seit sich jeder einen Metalldetektor kaufen darf kein Problem mehr: Schatzsuche im Wald. Bild: dpa

BREMEN taz | Als Kind nahm ich einen Spaten, radelte zum Baggersee und grub. Mein Freund kam mit. Wir buddelten so lange, bis das Loch am Strand mit Wasser volllief. Dann gruben wir das nächste.

Warum? Weil wir etwas Wertvolles finden wollten. Etwas Altes. Metalldetektoren gab es damals nicht im Baumarkt, vielleicht gab es noch nicht mal Baumärkte. Und dass wir „Raubgräber“ waren, wussten wir auch nicht.

Allenfalls kannten wir Grabräuber. Das waren die, die in dunklen Pyramiden nach kostbar ausgestatteten Mumien suchten, wofür sie der Fluch des Pharao bestrafte. Wir aber wollten römische Münzen finden – wobei es ein germanisches Schwert auch getan hätte.

Dieses Jahr gibt es in Norddeutschland eine bemerkenswerte Anzahl archäologischer Ausstellungen. Mindestens zwei davon sind geeignet, meiner kindlichen Schatzsuch-Begeisterung die Unschuld zu nehmen: Im Oldenburger Landesmuseum war zu erfahren, welch flächendeckende Schäden die Raubgräberei bereits angerichtet hat. Von „fundleeren Landstrichen“ spricht die Oldenburger Archäologin Christina Wawrzinek – Landstriche, ausgeweidet durch Sondengänger, die für ihre Ortungsgeräte kaum mehr als 17 Euro investieren müssen.

Der Schwarzmarkt boomt, die Forscher haben das Nachsehen. Selbst wenn die Beute irgendwann wieder auftaucht, hat sie wissenschaftlich sehr an Wert verloren. Denn ohne die zugehörige Erdschicht scheitert bereits die Datierung der Objekte. Und der Pharaonenfluch lässt nicht auf sich warten: Oft piepen die Geräte der Räuber, da Munition im Boden liegt. Die Unfälle häufen sich.

Bei der Ausstellung in Bremen musste ich lernen, dass mein germanisches Schwert gar kein germanisches Schwert gewesen wäre. Weil „Germanien“ ein von den Römern erfundener Mythos ist, erstmals formuliert bei Tacitus und gierig aufgesogen während der bürgerlichen Nationalisierung des 19. Jahrhunderts. Eine einheitliche „germanische“ Ethnie gab es nie.

Das Bremer Landesmuseum nannte seine Ausstellung trotzdem „Graben für Germanien“, weil das „Dritte Reich“ die Archäologen exorbitant förderte. Sie sollten die umfassende Überlegenheit einer frühgermanischen Hochkultur beweisen. Mit möglichst vielen Fundstellen möglichst weit im Osten …

Wenn ich beim Wandern, irgendwo im Wald, einen Wegweiser zu „Hünengräbern“ sehe, will ich da hin. Mich ziehen solche Orte an, der Umweg ist mir egal. Aber was fantasiere ich in irgendwelche, kaum sichtbare Bodenwellen dann hinein? Vibrations der Vergangenheit? Oder spuken noch immer die germanischen Schwerter in meinem Kopf herum?

Wenn ich einen Sondenlehrgang beim Kreisarchäologen absolvieren würde, könnte ich meine Schwerter mittlerweile legal suchen. Zumindest auf den dafür ausgewiesenen Flächen. So haben sie es am Harzhorn gemacht. Und dabei ein veritables römisches Schlachtfeld entdeckt!

Sandalennagel für Sandalennagel, Katapultgeschoss für Katapultgeschoss spürten die ehrenamtlichen Helfer auf. Am Schluss waren es 1.400 Nägel. Und aus den Einschlagwinkeln der Geschosse ließ sich minutiös ein 1.800 Jahre alter Schlachtverlauf rekonstruieren – zu bestaunen im Braunschweiger Landesmuseum.

„Citizen Science“ heißt die neue Methode, den Elan der Laien, die Sehnsucht nach Schätzen und Geschichte in wissenschaftlich korrekte Kanäle zu lenken. Die dazu gehörigen Scherbensortier-Kurse wären zwar sogar mir zu dröge – regen Andrang gibt es trotzdem.

Wann wird Geschichts- und Heimatbegeisterung zu Tümelei und Schlimmerem? Ich vermute: Wenn das Interesse interessegeleitet ist. Wenn sich das Wissenwollen mit dem Wunsch verbindet, aus der Vergangenheit heraus den eigenen „Wert“ zu bestimmen.

Wer Angst vor Veränderung hat, gerät schnell in Versuchung, seine Zugehörigkeit – und die Nicht-Zugehörigkeit anderer! – historisch zu definieren. Die Bücherregale meines Oldenburger Urgroßvaters machen diese geistige Rutschbahn sinnfällig, Meter für Meter: Den zahlreichen Werken „harmloser“ Heimatforschung um 1900 folgen in nahtlosem Übergang immer nationalistischere und schließlich offen rassistische Titel. Aus Heimat- wurde Herrenkunde.

Wo stehen wir heute? Auf Mittelaltermärkten und bei den sich mehrenden historischen „Reenactments“ sind rechte Protagonisten keine Ausnahme. Germanen-Tiraden werden immer gesellschaftsfähiger – wenn die seriösen Archäologen ihnen nicht das Wasser abgraben. Und wir uns selbst fragen: Was will ich eigentlich von der Geschichte?  HENNING BLEYL

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