piwik no script img

Der Blick nach oben

■ Schon acht Stunden vor der „Miss-Berlin„-Wahl friert den Kandidatinnen das Lächeln ein

„Na, na, Blick nach oben! Du, streck dich! Nicht so ernst bleiben.“ Der Moderator mit Stoppuhr und Mikrophon gibt achtzehn Berlinerinnen auf dem Laufsteg Anweisungen. Alle sind mit gebräunten und mit hochhackigen Schuhen versehenen Beinen angetreten, um „Miss Berlin“ zu werden. Wie das lästige Nummernschild als lässiges Accessoir tragen? Gruppendurchlauf, vier Takte Musik in einer Reihe stehen, Drehung, vor dem Abtritt Gruppenbild mit Standbein, leicht angewinkeltem Knie und gespreiztem Fuß.

Acht Stunden noch, bis es am Abend ernst wird, doch schon jetzt ist einiges Lächeln gefroren. „Man darf doch nicht sehen, wie froh ihr seid, wieder runterzugehen“, mahnt die Mikrophonstimme. Wenige verfügen über die durch Perfektion scheinbar naturgegebenen eleganten Bewegungen, den zackig ausladenden, kontrollierten Hüftschwung, das anhaltend selbstbewußte Lächeln ins Leere. Dieses Können haben Teilnehmerinnen in zweimonatigen Mannequin-Lehrgängen teuer erstanden. Wer nichts investiert hat, dem steht der Ehrgeiz nicht im Blick, der kann noch behaupten, „just for fun“ oder „aus Jux“ ganz zufällig das Inserat gelesen zu haben.

Für Tamara ist klar, daß sie ihr Abitur auf jeden Fall macht. Ihre Konkurrentin spielt mit dem Gedanken, Tierärztin zu werden. Die Antworten über den „Traumjob“ ähneln sich. „Ein begehrtes Fotomodell werden, vielleicht eröffnet sich eine Schauspielerkarriere, die offene Welt, im öffentlichen Leben stehen, umgeben von Prominenz, man wird gern gesehen und hat einen Titel...“ Nur Martina erzählt von dem Vertrag, den sie wie alle vor der Wahl unterschrieben hat. Sie wäre stolz auf den Titel, der ihr ein „abenteuerliches Leben in einer schönen Glitzerwelt“ eröffnen würde, vergißt aber nicht die geschäftliche Seite. „In dem einen Jahr mußt du selbst was draus machen, sonst bist du schnell vergessen.“ Und deshalb muß man mit der Arbeit früh anfangen. Eine Miss -Berlin-Kandidatin sorgt sich um die enge Toilette, in der es abends Gedränge gibt. „Ich brauche mindestens anderthalb Stunden für die Wickler.“

Nach acht Stunden Probe soll es am Abend wieder auf den Laufsteg gehen: Gruppen- und Soloauftritt, dann fallen die Abendkleider für die Bademode der Sponsoren. „Miss Berlin“ winkt wie allen Landessiegerinnen eine Mittelmeerkreuzfahrt.

Auf dem „Liner der Superklasse“ werden die Kandidatinnen für die nächste „Ausscheidung“ trainiert, damit eine „gut gestylte Show“ der Krönung von Miss Germany vorangeht. Dann warten bereits 50 Termine des Sponsoren in Sachen Bademoden in deutschen Kaufhäusern. 30.000 DM Einkommen sind Miss Germany sicher.

Petra Schrott

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen