Der Berliner Wochenkommentar I: Aufreger macht Schule
Ein rechter Lehrer wird in Berlin vom Dienst suspendiert. Ein Einzelfall im Lehrerzimmer?
Es war der Aufreger der Woche: Ein Weddinger Grundschullehrer betreibt in seiner Freizeit einen YouTube-Kanal namens „Der Volkslehrer“. Rund 6.500 Menschen hören und sehen Nikolai N. dort regelmäßig zu, wie er antiamerikanische Verschwörungstheorien über den Terroranschlag am 11. September 2001 verbreitet oder eine Gedenkminute auf dem Evangelischen Kirchentag für die im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlinge mit Zwischenrufen stört. Der Mann soll auf Demos den Holocaust geleugnet haben und mit der teils rechtsextremen Reichsbürgerszene sympathisieren. Die Senatsbildungsverwaltung erstattete zu Wochenbeginn Anzeige, N. ist inzwischen vom Dienst freigestellt.
Darf der das?, fragten sich alle. Und: Warum hat keiner früher etwas unternommen, wo die Videos doch schon seit Monaten online sind und N. der Schulaufsicht auch bereits als problematischer Fall bekannt war?
Die erste Frage ist schnell beantwortet: Wer den Holocaust leugnet, begeht eine Straftat. Kann ein Gericht N. dies nachweisen, wäre das ein Kündigungsgrund.
Die zweite Frage ist berechtigt, die Antwort vermutlich schlicht: Weil der öffentliche Druck fehlte und das Thema unbequem ist. Doch wenn Schule ein Spiegel der Gesellschaft ist, muss man annehmen, dass N. nicht die einzige Lehrkraft ist, die rechtem Gedankengut anhängt.
Die spannendste Frage über den Fall N. hinaus bleibt also: Wie damit umgehen, wenn eine Lehrkraft sich nicht an das für Landesbedienstete obligatorische Mäßigungsgebot – Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung – hält, das für Beamte und Angestellte gilt? Wie geht man mit Rechtspopulismus im Lehrerzimmer um, der angesichts des Erfolgs der AfD auch dort eine Rolle spielen muss? Eine Frage, auf die eine gesamtgesellschaftliche Antwort nötig ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Pressefreiheit unter Netanjahu
Israels Regierung boykottiert Zeitung „Haaretz“
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Twitter-Ersatz Bluesky
Toxic Positivity