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Der Begründer des Miniatur Wunderlandes über Flugangst"Das ist absolut besessen"

Jochen W. Braun war schon als kleiner Junge begeistert von allem, was fliegt. Sein Problem: Flugangst. Doch statt Flugzeuge künftig zu meiden, sammelte er alles, was er über Flugunfälle finden konnte und besiegte seine Angst mit Statistik.

Sitzt im Flugzeug am liebsten hinten, weil man dort laut Statistik am ehesten einen Absturz überlebt: Jochen Braun. Bild: Ulrike Schmidt
Ilka Kreutzträger
Interview von Ilka Kreutzträger

taz: Herr Braun, seit mehr als 30 Jahren sammeln Sie Flugunfälle. 45.000 haben Sie schon zusammengetragen.

Jochen Braun: Die Zahl ist ja schon wieder drei Monate alt, inzwischen dürften es 48.000 sein. Nicht, dass in dieser Zeit 3.000 Flugzeuge abgestürzt sind, ich habe nur meine Datenbank weiter ergänzt.

Trotzdem furchtbar viele verunglückte Maschinen.

Man kriegt bei diesen Zahlen immer einen Schreck, das ist wahr. Aber ein Punkt ist interessant: Bei all diesen 48.000 Vorfällen in mehr als 100 Jahren Luftfahrt sind etwa 300.000 Menschen ums Leben gekommen. Allein bei dem Tsunami 2004 sind so viele Menschen innerhalb weniger Stunden gestorben. Das mag ein Indiz dafür sein, wie wenig im Luftverkehr passiert.

In Ihrem ersten Buch, das gerade nochmal neu aufgelegt wurde, haben alle überlebt, im nächsten viele, dann einige und schließlich niemand. Nicht sehr beruhigend.

Ja, das stimmt. Im ersten Buch habe ich eigentlich das Schönste schon aufgeschrieben, aber vor allem im Freundeskreis wurde ich bedrängt, doch mehr zu schreiben. Das vierte Buch war dann das Schlimmste, da hat niemand überlebt. Das ist natürlich unerfreulich und nichts für jemanden, der Angst hat vorm Fliegen.

Im Interview: 

Jochen W. Braun

68, in Hamburg geboren, studierte Betriebswirtschaft in Tübingen und Hamburg. Er ist verheiratet und hat drei Söhne. Seine Zwillinge Gerrit und Frederik Braun sind die Begründer des Miniatur Wunderlandes in Hamburg. Braun sammelt seit mehr als 30 Jahren Flugunfälle. Sein Ziel war es, die weltweit beste Datenbank über Flugunfälle zu schaffen. Das ist ihm zwar nicht gelungen, doch er hat durch das Sammeln von Unfällen seine Flugangst in den Griff bekommen.

Also nichts für jemanden wie Sie?

Ich wollte ja mal Pilot werden! Meine Eltern sind nach Fuhlsbüttel gezogen als ich elf Jahre alt war. Von unserem Haus zum Flughafen waren es mit dem Rad so zehn, 15 Minuten und weil ich über meinen Vater den Direktor des Flughafens kannte, durfte ich mit den Follow-Me-Autos fahren und so. Ich war beinahe täglich dort. Mit 14 wurde ich plötzlich schrecklich kurzsichtig. Da war klar, dass ich kein Pilot werde.

Aber nicht nur deswegen. Sie haben auf Ihrem ersten Langstreckenflug zu Ihrer Schwester nach Rio de Janeiro festgestellt, dass Ihnen so ein Flugzeug Angst macht.

Ich hatte mich sehr auf den Flug gefreut und als ich in der Abflughalle sitze, überkommt mich plötzlich die Angst. Aus heiterem Himmel konnte ich nur noch daran denken, dass Flugzeuge immer abstürzen. Das war ganz furchtbar! Kaum angekommen, dachte ich nur noch darüber nach, wie ich wieder heimkommen sollte.

So viele Möglichkeiten gibt es nicht. Auto? Schwimmen?

Ich bin ein ganz schlechter Schwimmer und friere sehr leicht, das war also gar nicht drin. Also: Schiff. Mein Schwager arbeitete damals in Brasilien und konnte mir einen Platz auf einem Orangenfrachter besorgen. Die fahren unglaublich schnell und brauchen nur zwei Wochen von Santos nach Hamburg. Aber das war so sündhaft teuer und ich hatte damals wenig Geld, hatte gerade so den Flug bezahlen können. Also wieder ins Flugzeug und halb tot vor Angst in Hamburg angekommen.

Die meisten Menschen meiden, wovor Sie sich fürchten. Sie haben begonnen, sich ausgiebig mit Flugunfällen zu beschäftigen.

Ich wollte einfach wissen, ob es wahr ist, dass Autofahren statistisch betrachtet gefährlicher ist als das Fliegen. Und es ist tatsächlich so.

Und das hilft gegen die Angst?

Ja. Wissen Sie, ich hab mich schon immer für Statistik begeistert. Ich kann Ihnen zum Beispiel genau sagen, wie oft ich in meinem Leben schon beim Friseur war.

Aha?

400 Mal seit 1978.

Wieso wissen Sie das denn?

Ich schreibe mir jeden Tag auf, was ich gemacht habe.

Das mache ich auch, aber ich weiß trotzdem nicht, wie oft ich schon beim Friseur war.

Vielleicht liegt es daran, dass ich Skorpion bin. Die vergessen nachweisbar nie etwas, im positiven wie im negativen Sinne. Wenn mir jemand etwas Gutes getan hat, vergesse ich das nie. Und wenn mir jemand etwas Böses getan hat, vergesse ich das erst recht nie.

Als Sie 26 Jahre alt waren, haben Sie mal mit dem Gedanken gespielt, nach Südafrika auszuwandern. Was hat Sie hier beinahe fortgetrieben?

Damals waren meine beiden Zwillinge zwei Jahre alt und meine erste Frau hatte mich verlassen. Da war ich todtraurig und wollte weg, nochmal neu anfangen. Ich habe also angefangen, Bücher, Unterlagen und Formulare über Südafrika zusammenzutragen. Einen ganzen Haufen hatte ich bald zusammen.

Sie sind nicht hingefahren, um sich das Land mal anzuschauen, in dem Sie künftig leben wollten, sondern haben Formulare gesammelt?

Mich haben die Tiere im südlichen Afrika schon immer fasziniert und vor allem mein Lieblingstier das Zebra lebt dort. Aber dann stand in einem der Formulare: Hiermit bestätige ich, dass ich niemals Mitglied einer kommunistischen Partei gewesen bin, noch es jemals werden zu wollen. Ich wollte zwar nicht in eine kommunistische Partei, aber das fand ich unmöglich. Ich bin dann stattdessen erst nach Frankfurt und dann nach Stuttgart gegangen, bevor ich 1978 zurück nach Hamburg kam.

Und sammeln seitdem Flugunfälle. Das klingt schon ein wenig nach Besessenheit.

Eindeutig. Das lässt mich nicht mehr los. Ich sitze sieben Tage die Woche acht Stunden am Computer und sammele Unfälle und werte Sie aus. Das ist absolut besessen. Ich wollte mal die beste Datenbank der Welt aufbauen, aber es gibt mittlerweile bessere als meine.

Nicht nur besessen von Flugunfällen, sondern auch von Statistiken, oder?

Ja, ich vertraue Statistiken.

Offenbar, immerhin haben Sie damit Ihre Flugangst geheilt. Das verstehe ich übrigens nicht. Erzählen Sie mal jemandem mit einer Spinnenphobie, dass eine Hausspinne zwar eklig sein mag, aber rational gesehen überhaupt nicht wehrhaft ist.

Bei mir funktioniert das.

Hat Angst für Sie eigentlich etwas Positives?

Nein, ich habe jahrelang Ängste gehabt. Von meinen Eltern habe ich ein Haus bekommen und meine Mutter hatte dort immer Angst vor Einbrechern. Kaum war ich dort eingezogen, habe ich ihre Angst übernommen und das Haus verrammelt mit Sicherheitsglas und Schlössern überall. Angst ist für mich etwas ganz Negatives und da kann ich gut drauf verzichten.

Auch wenn Sie nur durch die Angst bei Ihrem ersten Flug überhaupt darauf gekommen sind, sich so akribisch mit Unfällen zu beschäftigen.

Das ist ein Abfallprodukt. Ich hätte es lieber gehabt, dass ich vom ersten Mal an mit großer Freude hätte fliegen können, so wie ich es jetzt tue.

Können Sie sich noch an Ihren ersten angstfreien Flug erinnern?

Ich möchte vermuten, dass es gleich der zweite war, denn ich habe mich sofort nach meiner Rückkehr aus Brasilien intensiv mit dem Thema beschäftigt und schnell festgestellt, dass eigentlich nichts passieren kann, wenn man ein bisschen was beachtet.

Was denn?

Die richtige Fluggesellschaft wählen und hinten sitzen.

In der letzten Reihen sitzen hilft beim Überleben?

Sagen wir mal so, ich empfehle Ihnen nicht, in der letzten Reihe zu sitzen, denn dann habe ich die Verantwortung.

Ich übernehme die Verantwortung, also wieso hinten?

Statistisch gesehen saßen die Leute, die einen Absturz überlebt haben, überwiegend hinten. Die Erklärung ist ganz einfach: Früher hatte ein Flugzeug ausschließlich in den Tragflächen und im Rumpf den Treibstoff. Beim Aufprall brach die Maschine meist hinter den Tragflächen auseinander und im vorderen Teil war alles, was brennbar war. Und statistisch gesehen sind die meisten Menschen, die bei einem Absturz ums Leben gekommen sind, verbrannt.

Verstehe.

Aber das ist mit Vorsicht zu genießen. Ein Studienfreund von mir hatte einen Käfer und wir haben uns immer gestritten, weil er sich nie anschnallte. Irgendwann ist er dann gegen einen Baum gefahren und flog durch die Windschutzscheibe raus. Das Auto war völlig demoliert und das Armaturenbrett hatte den Fahrersitz durchgeschnitten. Und trotzdem: In 98 Prozent der Fälle ist es besser, Sie schnallen sich an.

Gehen Sie mit Ihrem Sammelwahn und den vielen Zahlen Ihrer Frau manchmal auf die Nerven?

Sie ist froh, dass ich nicht saufen gehe oder fremdgehe. Es gibt ja viele Dinge, die Frauen nicht mögen. Ich bin aber immer zu Hause und immer zufrieden. Aber die statistische Leidenschaft kann sie nicht verstehen, sie hat auch noch keins meiner Bücher gelesen.

Aber ihre Zwillinge haben Verständnis für Ihren Wahn?

Nicht nur das. Als die beiden so zehn oder elf Jahre alt waren, kamen die immer am Wochenende zu mir und wir haben uns dann am Braunen Hirsch, einem Bahnübergang zwischen Volksdorf und Ahrensburg, hingesetzt und Pfennigstücke und Kronkorken auf die Schienen gelegt. Die beiden haben immer ein Formular mitgenommen, auf dem sie angekreuzt haben, welche Nummern die Züge hatten, wie viele Waggons, ob der Lokführer gewinkt oder Lichthupe gemacht hat. Das habe ich ihnen dann vielleicht schon vorgelebt.

Jochen W. Braun: Und alle haben überlebt. Flugunfälle: Hintergründe, Ursachen und Konsequenzen. Geramond, 152 S., 24,95 Euro

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