: Der Autor
■ Karl Kraus – ein Satiriker des Untergangs
Karl Kraus war der fulminanteste Rechthaber der Epoche, der Wien eine ganze Generation lang mit den Artikeln seiner 1899 gegründeten „Fackel“ in Brand setzte. Man nannte den 1874 in Böhmen geborenen Feuilletonisten, Aphoristen und Dramatiker einen „Blutrichter des Geistes, eine Art Robespierre der Literatur, der keine Gnade kannte“. Neben der „Fackel“ schrieb er 1902 den Essay „Sittlichkeit und Kriminalität“, veröffentlichte 1908 die Aphorismensammlung „Sprüche und Widersprüche“ und schrieb während des ersten Weltkriegs sein Monumentaldrama „Die letzten Tage der Menschheit“. Sein publizistisches Hauptorgan „Die Fackel“ stellte er erst kurz vor seinem Tod 1936 ein.
Frei nach seiner eigenen Devise „Haß muß produktiv machen. Sonst ist es gescheiter, zu lieben“, baute er sich eine ganze Phalanx von Feinden auf, die er erbittert bekämpfte und die ihn nicht weniger erbittert bekämpften. Mit nahezu allen Wiener Literaten, der gesamten Wiener Presse, dem Kreis um Freud und dem Kreis um Stefan George war er verfeindet. Er verhöhnte den verlogenen Moralkodex der Zeit, die bigotte Justiz, den Nepotismus im Gesundheitswesen und bezeichnete Journalisten als „zeitgenössische Tagelöhner der Lüge“. Er decouvrierte den ornamentalen Sprachschwulst der Epoche, indem er äußerst genau die Fakten recherchierte, gnadenlos zitierte und satirisch überzeichnete. Mit ätzendem sprachlichen Scharfsinn stellte er die Sprache und ihre Lüge bloß. Den Untergang der Vorkriegswelt beschrieb er, lange bevor das Vorkriegseuropa in Schutt und Asche gelegt wurde, 1908 in der „Fackel“: „Den Weltuntergang datiere ich von der Eröffnung der Luftschiffahrt. Wir waren kompliziert genug, die Maschine zu bauen, und wir sind zu primitiv, uns von ihr bedienen zu lassen. Wir treiben einen Weltverkehr auf schmalspurigen Gehirnbahnen.“
Karl Kraus war ein Satiriker des Untergangs, ein negativer Utopist, der wie viele brillante Misanthropen den Finger paßgenau in die Wunde legte, ohne selbst eine Utopie zu formulieren. In seinen bissigen Untergangs-Szenarien ist er ein Autor, der gerade zur Jahrtausend-Wende wieder höchst aktuell ist.
jl
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