: Der Ausputzer am Werk
■ Andreotti in Moskau
Das Ritual wiederholt sich in schon fast magischer Weise: immer wenn sich bundesrepublikanische Wirtschaftsmanager nach Moskau verfügen, war bereits vorher eine hochkarätige Kollegen-Delegation aus Italien präsent, die mit dicken Aufträgen abgereist und den Germanen manches schöne Geschäft verdorben hat. Begeben sich jedoch Politiker dorthin, kommt die analoge Crew aus dem Süden gleich nach ihnen. Und nicht selten ist dann, was paletti erschien, alsbald wieder mit Wolken des Zweifels oder zumindest kräftigen Nachbesserungsforderungen verdüstert.
So schlurft Italiens Andreotti auch diesmal wieder gleich nach dem satt und zufrieden abgeschwebten Kohl zu Gorbatschow, und wie immer hat er angeblich nur das Ziel, die volle Unterstützung des eigenen Landes zu versichern; diesmal obendrein aber auch noch die der EG, deren Präsidentschaft er bis Jahresende innehat.
De facto sieht die Aufgabe des ewigen Schlitzohres aber ganz anders aus, und die zehn nichtdeutschen Partner Italiens sind ziemlich froh, gerade ihn gen Moskau schicken zu können: es geht schlicht darum, Gorbatschow von Kohl abzukoppeln. Das heißt, Andreotti wird dem Kremlchef erstens klarmachen, daß er die Hilfe der Deutschen ruhig annehmen kann, ohne sich ihnen allzu wörtlich verpflichtet zu fühlen (der Römer wird da wertvolle Tips aus seiner eigenen Erfahrung mit den Teutonen geben können).
Zweitens wird Andreotti seinem Gesprächspartner verklickern, daß der seine Perestroika auch ohne dauernde Servilität den Germanen gegenüber vor allem dann retten kann, wenn er sich stärker der Solidarität der Rest-Westeuropäer versichert, auch wenn die nicht dieselben Spendierhosen wie die Teutschen haben. Auch dafür wird der römische Überlebenskünstler wertvolle Anregungen haben. Daß diese Solidarität vor allem dann zu haben ist, wenn sich die Sowjets nicht so sehr als DM-Vasallen aufführen, sondern lieber mal wieder etwas Pangermanismus-Angst mitformulieren, ist dann nur noch eine praktische Handlungsanleitung.
Die Botschaften der nächsten Wochen aus dem Kreml werden zeigen, wie weit das bucklicht Männlein von seiner Kunst ohne eigene Ausgaben Stroh zu Gold umzuspinnen - zu überzeugen vermocht hat. Dann könnte Andreotti wieder nach Bonn oder Berlin kommen und sich, wie er das zeitlebens getan hat, den Verzicht auf Widerstand in barer Münze bezahlen lassen.
Werner Raith
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen