■ Der Ausgang der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus kommt nicht eben unerwartet. Sieger Diepgen (CDU) ist gestärkt. Juniorpartner SPD weiter geschröpft. Nun kann man eine neue Große Koalition angehen. Dazu wird zunächst der SPD-Spitzenkandidat entsorgt: Puuuuh, wird das spannend!
Um Arbeit muss sich der Chef kümmern: So warb die SPD im Hauptstadt-Wahlkampf. Chef Walter Momper muss sich jetzt wirklich um Arbeit kümmern – wahrscheinlich außerhalb der Politik. Um Viertel vor sieben traute sich der SPD-Spitzenkandidat gestern erstmals vor die eigene Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Der Beifall der Berliner Genossen, die sich längst in neuer Bescheidenheit üben, war entsprechend bescheiden. Deutlich über 20 Prozent, das ist doch schon etwas, versuchte Momper die Stimmung aufzubessern. Mit geringem Erfolg.
Verhalten klatschten die Funktionsträger der Partei Beifall, als der Mann mit der roten Nase sagte, der Bundestrend sei gestoppt, die Abwärtsbewegung der SPD immerhin aufgehalten. Merklich größer war der Beifall, als Momper lapidar feststellte, dass die rechtsextremen „Republikaner“ nicht ins Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen seien.
*
Um Arbeit muss sich der Chef kümmern. Eberhard Diepgen zum Beispiel. Sein Job als Bürgermeister ist jedenfalls sicher. Das Ergebnis sei ein „klarer Regierungsauftrag“, frohlockte der alte und wohl auch neue Regierende Bürgermeister der Hauptstadt. Ob er für seine Parteifreunde aber so viele Jobs ergattern kann wie erhofft, steht nach dem Ergebnis von gestern in den Sternen. Schließlich sind rund 40 Prozent nach den hochgesteckten Erwartungen nicht das große Traumergebnis. Schließlich war schon von einer absoluten Mehrheit die Rede.
Diepgen selbst nimmt das gelassen. Er sei „Realist“, erklärte er am Abend. In den nächsten Wochen wird er versuchen müssen, den Sozialdemokraten eine Neuauflage der Großen Koalition schmackhaft zu machen.
*
Die Große Koalition ist ganz so groß nach wie vor nicht. Dennoch wollen die Sozialdemokraten offenbar nicht davon ablassen. Der Wähler habe es ja so gewollt, sagten die Genossen demütig. Zwar sei das Ergebnis eine deutliche Niederlage für die SPD, so Frank Bielka, SPD-Kreisvorsitzender von Berlin-Neukölln, aber man hatte ja mit einem schlimmeren Ergebnis rechnen müssen. Zur Fortsetzung der Großen Koalition gäbe es wohl keine Alternative. Nur der junge Wilde, Verkehrsexperte Christian Gaebler, warnte davor, sich sofort wieder an den Hals der ungeliebten Christdemokraten zu werfen.
*
Die Große Koalition, so hatten CDU-Politiker im Vorfeld schon gehöhnt, sei bei einem Bündnis mit einer geschrumpften SPD nicht mehr „groß“. Diepgen erklärte gestern großzügig: „Wir wollen gemeinsam diese Stadt gestalten.“ Außerdem will der Bürgermeister seine „Verantwortung für das gesamte deutsche Vaterland“ wahrnehmen. Freuen kann sich Diepgen immerhin über das „beste Wahlergebnis in der Geschichte der Union“. Über den höchst bescheidenen Zuwachs schwieg er lieber. Ausgiebig ließ er sich im Kreis seiner Parteifreunde von Ehefrau Monika unentwegt abknutschen und umarmen, während der regierende Gatte kühl blieb wie immer. Schließlich steht ihm eine harte Zeit der Regierungsbildung bevor.
Zu den Verlierern wurde einer von Anfang an gezählt: Walter Momper. Hinter vorgehaltener Hand wurde deutlich gesagt, dass Momper wohl nicht mehr derjenige sein dürfte, der die SPD in den Wahlkampf im nächsten Jahrhundert führen wird. „Walter Momper war nicht das Zugpferd der SPD“, sagte Bielka wohlwollend untertrieben.
Für den Mann, der die Wende im berühmten roten Schal als Regierender Bürgermeister Berlins beging, hat sich die Perspektive auf dieses Amt erledigt. Bielka: „Wir müssen in Anbetracht der nächsten Wahl neue Leute aufbauen.“
*
Zu den Verlierern zählt Diepgen gewiss nicht, aber er ist alles andere als ein strahlender Gewinnertyp. Markige Worte, wie sie Parteifreund Jörg Schönbohm aus Brandenburg anstimmte, liegen ihm nicht. „Wir haben gewonnen“, rief er schlicht. Der märkische CDU-Chef hatte seinem Berliner Kollegen geraten, die SPD doch künftig härter anzugehen – und sich auf eine paritätische Aufteilung der KabinettsPosten nicht mehr einzuladen.
Große Worte überließ Diepken lieber niedrigeren Chargen – wie seinem Berliner Generalsekretär Volker Liepelt. Der durfte gleich von einem „sensationellen Ergebnis“ schwärmen und den Regierungsauftrag für die Union „großartig“ nennen. Die CDU habe, entgegen hochfliegender Erwartungen manch eines Umfrage-Instituts, „ein solches Ergebnis immer angepeilt“.
*
Die Entsorgung von Momper ist ein sozialdemokratisches Problem. Wie üblich bei der SPD, wollte man sich zu Problemen nicht wirklich äußern. Momper könne lediglich eine gewisse Rolle in der Fraktion spielen, so Bielka vorsichtig optimistisch. Die Arbeitssenatorin Gabriele Schöttler wollte sich ebensowenig zur Zukunft Mompers auslassen – genau wie der wirtschaftspolitische Sprecher Hermann Borghorst. Borghorst übte allerdings auch indirekt Kritik an Berlins eiserner Sparkommissarin, Annette Fugmann-Heesing (SPD). „Wir haben in der Vergangenheit zu viel über Haushaltskonsolidierung gesprochen.“ Dabei sei das Thema soziale Gerechtigkeit etwas in den Hintergrund geraten. Borghorst: „Uns haben die Visionen gefehlt.“
*
Die Entsorgung von Momper ist nicht Diepgens Problem, aber sein Wunsch. Den zu erfüllen wird nach dem Ergebnis von gestern nicht einfacher. Schließlich hat der SPD-Spitzenkandidat ein etwas besseres Ergebnis erzielt als erwartet. Wenn Momper demnächst als Senator am Kabinettstisch Platz nehmen sollte, wäre das für Diepgen nur schwer zu ertragen: Schließlich leidet der Bürgermeister noch immer daran, dass der damalige Regierende Bürgermeister Momper dem Oppositionsführer Diepgen während des Mauerfalls die Schau stahl.
Mit abgehalfterten SPD-Spitzenkandidaten im Senat hat Diepgen allerdings Erfahrung: Ingrid Stahmer, die Spitzenkandidatin von 1995, hatte in den vergangenen vier Jahren als lustlose Schulsenatorin agiert. Ralph Bollmann, Richard Rother
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen