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Der Atem der Liebe

■ Klaus Reichert stellt eine moderne Übersetzung vom„Hohelied“Salomons vor

Der Text ist alt, er stammt aus dem siebten, vielleicht aus dem fünften Jahrhundert vor Christus: Das Lied der Lieder, das König Salomo zugeschrieben wird. „Mein Liebster – / gluthell und erdrot, / sticht hervor / unter zehntausend.“Luther nannte diese unvergleichliche Sammlung von Liebesliedern in seiner Bibelübersetzung Hohelied.

„Dein Schoß – / ein tiefer Kelch, / dem der Würzwein nie fehle, / dein Bauch – / ein Weizenhügel / mit Hyazinthen umsteckt.“Diese erotische Lyrik wirkt faszinierend und fremd zugleich – denn wer spricht hier? Ist dies ein Gespräch zwischen Liebenden oder eine Traumsequenz? Das Ungefüge des Liebesgesangs verleitete viele Übersetzer dazu, zu glätten, verständlich nachzudichten und, wie es sich vermeintlich gehört, Anstößigkeiten zu verschleifen.

Klaus Reichert, Frankfurter Anglist, hat nun eine bemerkenswert moderne Übersetzung aus dem Hebräischen vorgelegt. Im begleitenden Kommentar vergleicht er das Hohelied mit einem „zusammengestückelten Gefäß, in dem die Bruchstellen sichtbar sind und die fehlenden Scherben besonders vermißt werden“. Was andere beklagten, sieht Reichert als Gewinn. Die Löcher und Brüche im Text schaffen vielerlei Zugänge, und Rei-cherts Übersetzung ermöglicht heutigen Lesern, überzusetzen in ferne Liebesgefilde.

„Wie schön dein Gang in den Schuhen, du Fürstentochter! Die Rundung deiner Hüfte ist wie ein Halsgeschmeide, das des Meisters Hand gemacht hat.“Der Vergleich mit Luthers Bibeltext bringt neben der Verschämtheit des Wittenbergers auch die Findigkeit Reicherts ans Licht: „Wie schön – / deine Schritte in den Sandalen, / Fürstentochter, / die Rundungen deiner Gesäßgegend – / diese Pracht, / ein Werk von Meisterhand.“

Diese lockende Neuübersetzung des Hohelieds erhält dessen offenen, fragmentarischen Charakter. Sie entfaltet ihre Stärken beim lauten Sprechen und Lesen, denn in diesen locker zusammengefügten Liedern wird Liebe geatmet und gesungen – weil Lieben so elementar ist wie Atmen und Singen.

Frauke Hamann

Lesung: heute, 20 Uhr, Literaturhaus.

„Das Hohelied Salomons“, Neuübersetzung: Residenz Verlag Salzburg, 128 Seiten, 38 Mark

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