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■ Der Armutsbericht paßt nicht in Kohls blühende LandschaftenEin Armutszeugnis für den Kanzler

Der Bundeskanzler mag multikulti. Jedes Jahre empfängt Helmut Kohl Kaspar, Baltasar und Melchior. Er mag auch Kinder. Jedes Jahr lauscht er mit feuchten Augen den Sternensingern. Der Kanzler gibt dann auch gern einen Obulus, den die lieben Kleinen dankbar annehmen. Doch die Liebe des Kanzlers ist nicht grenzenlos. Die Mehmets, Özkans und Renans sind nicht so willkommen. Und der Obulus, den Helmut Kohl zu verteilen hat, wenn nicht gerade das Fest der Heiligen Drei Könige ansteht, reicht nicht, allen Kindern ein würdiges Leben zu ermöglichen. In Deutschland herrscht Kinderarmut, jedes fünfte Kind im Osten und jedes zehnte im Westen ist davon betroffen. Deutschland bietet seinen Einwanderern keine zureichende Perspektive. Die Gefahr, daß Migranten ihren Status den Kindern vererben, droht ebenso wie allen Kindern der Status eines Armutsrisikos.

Solche schrillen Töne stehen im Kinder- und Jugendbericht. Töne, die dem Kanzler mißfallen, deshalb hält er den Bericht unter Verschluß. Es sind Dissonanzen in den Sternengesängen auf Familienwerte, Aufschwung und blühende Landschaften. Es harmoniert nicht mit dem Hohenlied auf die Vorzüge des Standorts Deutschlands.

Vor allem aber stört der Bericht den Gleichklang, den CSU und CDU seit Wochen in der Ausländerpolitik anstreben. Das tumbe „Deutschland ist kein Einwanderungsland“, das den bereits eingewanderten den Marsch blasen soll, das staatsbürgerrechtliche „Deutschland den Deutschen“, das keine Zwischentöne gestatten will, den Abgesang auf Multikulti, der die Mehrheit der Mehrheit sichern soll.

Der Jugendbericht ordnet die Zusammenhänge wieder, die um des Wahlkampfs willen auf den Kopf gestellt wurden. Er stellt fest, daß die Inanspruchnahme staatlicher Hilfe durch Menschen, die legitimerweise in Deutschland leben, kein Ausweisungsgrund ist, daß Deutschland multikulturell ist und ein sicherer Rechtsstatus der Einwandererfamilien das Verhältnis zu den Einheimischen entkrampfen würde. Er erkennt in der doppelten Staatsbürgerschaft eine sinnvolle Integrationsmaßnahme.

Der Bericht sollte all jenen als Sekundärliteratur an die Hand gegeben werden, die sich um Jugendverwahrlosung und -kriminalität sorgen und eine Lösung vorschnell in Abschiebung oder Einschluß finden. Der Bericht wird keine anderen Lösungen bieten, doch erhellt er Zusammenhänge, die die Perspektivlosigkeit eines allein repressiven Vorgehens begründen. Das ist allemal hilfreicher als alle Klagelieder über Werteverfall. Dieter Rulff

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