Der 1. Mai in Kreuzberg: Fest auf dem Rettungsweg
Heraus zum 1. Mai – mit Streit um das Myfest. Am Donnerstag wies das Verwaltungsgericht die Klage eines Anwohners ab.
Um die ganz große Frage ging es nicht mehr. Statt eines Verbots des Myfests forderte der Kläger bei der Gerichtsverhandlung am Donnerstag Auflagen für das Straßenfest. Doch auch diese wies die erste Kammer des Verwaltungsgerichts ab.
Zwei Dinge hatte der Kläger gefordert. Erstens solle die Zahl der Teilnehmer stark beschränkt werden. Und zweitens müsse auf der Strecke vom Kottbusser Tor bis zu seiner Wohnung in der Oranienstraße ein Rettungsweg für Sanitäter freigehalten werden. Der Bezirk dürfe in diesem Bereich deshalb keine Sondergenehmigungen für Lebensmittelstände erteilen. In der Urteilsbegründung hieß es, der Anwohner hätte erst mal einen Antrag bei der Behörde stellen können und nicht direkt klagen müssen. Außerdem sei die Planung des Festes noch so wenig konkret, dass es schwer sei, jetzt schon Auflagen stattzugeben.
Im vergangenen Herbst hatte ein Anwohner gegen das Myfest geklagt. Durch den Lärm, den Schmutz und die überfüllten Straßen während des Straßenfestes fühle er sich stark beeinträchtigt. Anfangs wollte er mit seiner Klage ein Verbot des Straßenfests in Kreuzberg erreichen. Zu Unrecht sei das Myfest über Jahre als politische Versammlung angemeldet worden, obwohl nicht mehr zu erkennen gewesen sei, dass es eine gemeinschaftliche politische Meinungsäußerung gegeben habe.
Nach einer Einigung von den Veranstaltern mit Bezirk und Polizei sieht nun alles danach aus, als ob das Myfest auch in diesem Jahr wieder als Versammlung angemeldet werden kann. Damit wäre die Polizei für die Sicherheit zuständig. Die Veranstalter wollen auf mehreren Bühnen Redebeiträge zu dem Motto „Hold your Ground“ organisieren. Polizeijustiziar Oliver Tölle sagte, er gehe davon aus, dass das Myfest eine Versammlung sei.
Der 1. Mai ist seit 1987 auch der Tag der Bambule für die linke Szene. In jenem Jahr kam es erstmals zu heftigen Krawallen in Kreuzberg. Ihr Symbol: Ein Bolle-Markt brannte aus.
In der Folge versuchten jede Menge Innensenatoren, den 1. Mai zu befrieden. Vergeblich. Anwohner, Ladenbesitzer und Bezirksamt riefen 2003 deswegen das Myfest ins Leben: Auf jenen Straßen, durch die sonst die krawallanfällige „Revolutionäre 1. Mai-Demo“ zog, sollte gefeiert und so den Gewaltausbrüchen der Raum genommen werden.
Das Konzept ging auf – besser als erhofft. Nun drängen sich auf dem Fest 50.000 Menschen, und Linke beklagen, dass ihm jeder politische Anspruch fehlt. (taz)
Streit um eine Versammlung
Die Klageseite nannte das Vorgehen „Etikettenschwindel“. Es sei keine Änderung zu dem Vorgehen in den letzten Jahren. Die Polizei selbst habe die Praxis, das völlig überfüllte Fest als Versammlung zuzulassen, zwischenzeitlich als nicht verantwortbar eingestuft. „Der Staat organisiert mit dem Myfest eine politische Vesammlung und gibt auch noch Geld dafür aus“, sagte Rechtsanwalt Johannes Eisenberg, der den Kläger vor Gericht vertrat. „Sie können ja die Besucher des Myfestes mal fragen, ob sie zu einer Versammlung kommen“, schob er nach. „Nur weil die Anmelder jetzt jemanden pro forma eine halbe Stunde Reden halten lassen, ist das noch nicht politisch.“
Doch um die Frage, ob das Myfest eine politische Versammlung oder eine kommerzielle Veranstaltung sei, ging es für die Urteilsfindung eher am Rande. Der Vorsitzende Richter Wilfried Peters unterstrich, dass es Mischveranstaltungen gäbe, zu denen beides gehöre, politische Kommunikation und Unterhaltungsprogramm. So habe das Verwaltungsgericht auch im Fall eines AnwohnerInnenfestes in der Kastanienallee geurteilt. „Das geht dann nach dem Grundsatz: Im Zweifel, wenn nicht eins den Vorrang hat, ist es als Versammlung zu sehen.“
Für die Urteilsfindung sei diese Unterscheidung bedeutsam, weil Versammlungen besonders hohen Schutz genießen, sagte Peters. „Versuche, mit dem Individualrecht gegen das Versammlungsrecht vorzugehen, sind in der Vergangenheit regelmäßig erfolglos geblieben.“ Die Klage über die Lärmbelastung sei daher kein starkes Argument gegen das Fest. Anders bewertete der Vorsitzende Richter die Frage nach der Gefährdung des Klägers. Hier habe dieser das Recht, mehr über das Vorgehen und die Pläne von Bezirk und Veranstaltern zu erfahren. Nochin der Verhandlung forderte er den Bezirk auf, den Kläger rechtzeitig vor dem Myfest zu informieren, in welchem Bereich Genehmigungen für Stände erteilt würden. Der Klagevertreter kündigte an, gegebenenfalls Ende April rechtlich gegen das Myfest vorzugehen – wenn klar sei, wie die Veranstaltung im Einzelnen organisiert sei.
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