Depression bei Geflüchteten: Seelische Wunden
Viele Menschen, die fliehen müssen, erkranken psychisch. Manchmal erst nach Wochen, Monaten, Jahren. Wir müssen aufmerksam sein und sie unterstützen.
ber zwei Monate ist es her, dass Russland die Ukraine angegriffen hat. Inzwischen sind über 380.000 Geflüchtete nach Deutschland gekommen. Wie es ihnen wohl geht?
Etwa ein Drittel von ihnen wird im Laufe der Zeit eine psychische Erkrankung entwickeln. Davon geht Lukas Welz aus, Geschäftsleiter der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer. Depressionen, Angststörungen und posttraumatische Belastungsstörungen sind die Leiden, mit denen geflüchtete Menschen am häufigsten kämpfen.
Bisher scheint es mit der Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine gut zu laufen. Die Gastfreundschaft ist groß; viele Ukrainer*innen kamen privat unter, bei Verwandten, aber auch bei Fremden. Auf Nachbarschaftsplattformen wie nebenan.de las ich immer wieder von Nachbar*innen, die noch das ein oder andere für ihre Gäste suchten.
Ruhe, Sicherheit, Struktur
Dieses Engagement ist unglaublich wichtig für das langfristige psychische Wohlbefinden. Denn neben den Umständen der Flucht und den ihr vorangegangenen Ereignissen wirken sich natürlich auch die Erfahrungen im Ankunftsland auf die Psyche aus. Nun brauchen Ankommende in erster Linie Ruhe, ein sicheres Umfeld und Struktur. Nicht invasiv nachfragen, aber den Krieg auch nicht verschweigen, um das Gefühl der Isolation nicht zu bestärken, rät die Psychotherapeutin Danja Schönhöfer in der taz. Ein Balanceakt, der ein hohes Maß an Feingefühl und Aufmerksamkeit fordert.
Kurz nach dem Angriff Russlands sprach ich mit einer Freundin über die Situation. In ihrer WG war gerade ein Zimmer freigeworden. Sie fühlte sich schuldig, weil sie und ihr Mitbewohner sich dennoch gegen eine Aufnahme entschieden. Ich verstand die Gründe, sie hatte gerade einen neuen Job begonnen und wollte in wenigen Wochen ausziehen. Sie befürchtete, überfordert zu sein, außerdem traute sie ihrem Mitbewohner die Verantwortung nicht zu.
Ich wünschte, ich hätte mich damals schon mehr mit dem Thema Flucht und Trauma auseinandergesetzt, dann hätte ich meiner Freundin gut zureden und Tipps geben können. So teile ich sie mit Ihnen, liebe Leser*innen.
Das Max-Planck-Institut beispielsweise hat Videos erstellt, in denen eindrücklich erklärt wird, wie sich Traumata im Körper manifestieren und ab wann es sinnvoll ist, Hilfe aufzusuchen. Auf Englisch, nun auch mit ukrainischen sowie russischen Untertiteln versehen, können Betroffene und auch Helfende so ihre Aufmerksamkeit schulen.
Auch die Berliner Institutionen Xenion und das Zentrum Überleben bieten Beratung und Hilfe sowohl für Geflüchtete als auch für ehrenamtlich Engagierte an – Letztere können auch Schulungen in Anspruch nehmen.
Wichtig ist es, die psychischen Folgen Geflüchteter nicht aus den Augen zu verlieren. Denn oft zeigen sie sich erst Wochen, Monate, ja manchmal Jahre später.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär