: Denkfaul
■ Zum Parteitag der Labour Party in Blackpool
Reif fürs Regieren oder für den Müllhaufen der Geschichte? Dies ist die Grundsatzfrage, welche die britische Labour Party ihren potentiellen Wählern und abgewanderten Anhängern nach neun Jahren kläglicher Opposition nun beantworten muß. Und wer in diesem Oktober in den Konferenzräumen Blackpools hinter die Kulissen schaute, dem bot sich auf der Suche nach einer Antwort ein wahrhaft deprimierendes Bild. Das Bild einer Partei, die, völlig unfähig zur internen Reform, einem Dutzend Gewerkschaftsbossen noch immer 90 Prozent der Stimmrechte gewährt, nicht weil dies besonders demokratisch wäre, sondern weil es eben Tradition ist. Das Bild einer Partei, in der die Kultur der glanzvoll monologisierenden Büttenrede immer noch über den Versuch zum sophistischen Dialog und kritischen Diskurs triumphiert. Das Bild einer Partei, die sich nach neun Jahren immer noch nicht entscheiden kann, ob sie die lächerliche Atomstreitmacht des Königreiches nun einseitig verschrotten oder multilateral wegdiskutieren will. Dabei verdecken die Auseinandersetzungen zwischen sturen Fundamentalisten und oberflächlichen Revisionisten nur, daß es längst nicht mehr um das „rechts“ oder „links“, sondern um die Ausrottung hinterwäldlerischer Dummheit und traditioneller Denkfaulheit in allen Lagern Labours geht.
Statt die binnen einer Dekade etablierte konservative Hegemonie des Thatcherismus kritisch, aber aufgeschlossen zu sezieren, werden die Erfolge der Tories entweder hilflos kopiert oder emotional attackiert. Die in Blackpool beschlossene grundsätzliche Widerrufung aller Gewerkschaftsgesetze der Regierung Thatcher ist dabei ebenso rückschrittlich wie die Forderung nach einer undifferenzierten Rückverstaatlichung der von den Tories privatisierten Mammutbürokratien. Daß Frau Thatchers Anti –Gewerkschaftspolitik und ihr Privatisierungsprogramm nur deswegen so erfolgreich und populär sein konnte, weil Labour beizeiten versäumt hatte, die Arbeitnehmerorganisationen und Staatsbetriebe einer demokratischen Verantwortung zu unterziehen, wollen viele in der Labour Party bis heute nicht wahrhaben. Dennoch hofft die Partei, beinahe wider besseres Wissen, 1992 doch noch einmal an die Macht zu kommen. Wie Labour dann mit einem Stimmenanteil von 40 Prozent – denn mehr werden es nicht werden – die nach den Thatcher-Jahren notwendige Restrukturierung von Ökonomie und Staatswesen durchführen soll, darüber macht sich in der Arbeiterbewegung niemand Gedanken.
Um Großbritanniens nicht „verfaßte“ Monarchie, dieses wohl anachronistischste und undemokratischste Staatsgebilde aller westeuropäischen Länder, auf den verfassungsmäßigen und bürgerrechtlichen Stand seiner Nachbarländer zu hieven, bedarf es eines breiteren politischen Konsensus. Allein durch eine Koalitionsbereitschaft mit den sich nach ihrer Spaltung regruppierenden Parteien der Mitte, den „Social Democrats“ und „Democrats“, und dem Eintreten für ein Verhältniswahlrecht ließ sich dieser nötige Umbau des politischen Systems Großbritanniens realisieren. Erst auf der Basis eines so errichteten sozialdemokratischen Modells könnte die britische Linke – sei es als neugegründete sozialistische Partei oder im grünen Mäntelchen – wieder hoffen, den politischen Einfluß zurückzugewinnen, den sie im erschlafften Hängebauch der Labour Party nie mehr haben wird. Eine Labour Party, die weiter auf das traditionelle britische Zweiparteiensystem setzt, hat dagegen ausgezeichnete Chancen, am Ende wirklich auf dem Müllhaufen der britischen Parteiengeschichte zu landen.
Rolf Paasch, London
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