Deniz Yücel im Frankfurter Literaturhaus: Von der Freiheit in Haft
Der Journalist spricht mehr als ein Jahr nach seiner Freilassung über seine Zeit in türkischem Knast. Sein Buch soll im Oktober erscheinen.
Im Literaturhaus am Frankfurter Mainufer meldete sich Deniz Yücel mehr als ein Jahr seiner Entlassung im Februar 2018 aus türkischer Haft am Mittwoch wieder zu Wort. Gemeinsam mit der langjährigen taz-Redakteurin Doris Akrap und moderiert von Martin Wiesmann, sonst bei der Bank JP Morgan tätig, sprach Yücel über seine Haft. Titel der Veranstaltung: „Freiheit ist etwas, was man tut.“
Und Yücel tat genau das, frei sein. Auch in türkischer Haft, etwa durch das Schreiben. „Jedes Mal, wenn ich einen Text da rausgeschmuggelt habe, war das ein Stück Genugtuung und meine persönliche Freiheit“, beschreibt Yücel seinen alltäglichen Widerstand gegen die Kontrolle durch das Gefängnispersonal.
Seine Inhaftierung, eines zu unbequem gewordenen Journalisten, habe ihn zum Schweigen bringen sollen – „und das lasse ich nicht zu“, habe er sich vorgenommen.
„Wie so ein Kriegsveteran“
So schaffte es Yücel immer wieder kleine Artikel oder fast schon ganze Buchmanuskripte in die Freiheit zu befördern. „Die Pedanterie dieses Jungen ist manchmal schwer auszuhalten“, kommentiert Doris Akrap flapsig und legt ihre Hand auf einen dicken Stapel weißer, loser Zettel. 496 Seiten sind es.
Die Zettel, auf denen Yücel aus der Haft Ideen und Anweisungen zur Veröffentlichung seiner früherer Texte in Buchform an Akrap übermittelt hat. Handgeschriebene 496 Seiten mit Anmerkungen vom Klappentext bis zur Textauswahl.
„Ich wusste wenigstens, der Mann ist beschäftigt damit“, sagt Akrap. Yücel streckt seine Hand hoch und zeigt die Schwielen vom Schreiben, die er bis heute habe. „Wie so ein Kriegsveteran“, kommentiert er unter lautem Beifall.
Nicht alle Briefe erreichten Yücel im Gefängnis
Und der Kampf wollte auch organisiert sein. „Ich habe da so Strategiepapiere geschrieben“, erzählt Yücel. „Was tun? Ran an das Kapital“, so sein Vorschlag. Während diplomatische Gespräche seine Haftzeit nicht verkürzen konnten und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan – den Yücel gerne „Gangsterboss“ nennt – ihn öffentlich als „Terroristen“ bezeichnete, sei es das Ziel gewesen, „die Kosten meiner Haft in die Höhe treiben“, so Yücel.
Als „Einöde aus Stahl, Beton und Stacheldraht“ beschreibt Yücel den Haftalltag, während er einen Stapel bunter Zettelchen aus der Sakkotasche hervorholt. Es sind die kleinen Briefe, die seine Ehefrau Dilek Mayatürk-Yücel ihm schickte, um „etwas Farbe in den Knastalltag“ zu bringen. Deniz Yücel blättert durch, blickt lächelnd zu seiner Ehefrau.
„Hier steht etwa ‚Ich bin in dich verliebt‘ und daneben ist der Stempel der Briefstempelkommission“, sagt er und hält einen kleinen pinken Zettel hoch. Die vielen Briefe und Postkarten von Unterstützer*innen und Freund*innen hätten ihn lange Zeit nicht erreicht, lediglich die Briefe seiner Schwiegermutter und später die seiner Ehefrau hätten die Kontrolle im Gefängnis überstanden.
Folterungen in Haft
Dennoch, das betont Yücel immer wieder, sei die Solidarität in Deutschland, die vielen Lesungen und Autokorsos, sehr wichtig für ihn gewesen.
Im Oktober soll Deniz Yücels Buch „Agentterrorist“ erscheinen, eine Rückschau auf die Haft in der Türkei und eine Analyse des Zustands der türkischen Demokratie. Im Mai veröffentlichte die Welt Yücels Verteidigungsschrift, in der er erstmals Folterungen in Haft öffentlich machte.
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