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Den Mitgliedern „die Zähne zeigen“

Heute beginnt in Prag das zweite Außenministerratstreffen/ Auf der Tagesordnung: Veränderungen durch die Mitgliedschaft der GUS-Staaten/ Konflikte zwischen Einzelstaaten vorprogrammiert  ■ Aus Prag Sabine Herre

Es war vor genau einem halben Jahr in Berlin. Damals kamen die Außenminister der KSZE-Staaten zum erstenmal in dem neugeschaffenen Gremium des „Außenministerrates“ zusammen. Doch wohl niemand von ihnen ahnte, wie schnell die damals gefaßten Beschlüsse einer praktischen Prüfung unterzogen würden. In Berlin hatten die 38 Staaten noch eine Resolution für den Erhalt Jugoslawiens verabschiedet. Wenige Wochen später waren sie bereits damit beschäftigt, den neu geschaffenen KSZE-Krisenmechanismus im Balkan erstmalig in Gang zu setzen. Er sollte den begonnenen Bürgerkrieg stoppen.

Die dabei aufgetretenen Schwierigkeiten sind heute, beim zweiten Außenministerratstreffen in Prag, Punkt der Tagesordnung. Diskutiert werden soll, wie man einem Mitgliedsland, das gegen die Prinzipien des Helsinki-Prozesses verstößt, die „Zähne zeigen kann“. „Angemessene Maßnahmen“ will man auch gegen die Zustimmung des betroffenen Staates verabschieden. Etwas grundsätzlich Neues: Zum erstenmal wäre das „Konsensprinzip“ aufgehoben.

Im Mittelpunkt der Beratungen dürfte jedoch der zweite „zerfallende“ Vielvölkerstaat, die ehemalige Sowjetunion, stehen. Und die Frage: Wird der europäisch-transatlantische Helsinki-Prozeß sich durch die Mitgliedschaft der zehn GUS- Staaten in einen europäisch-transatlantisch-asiatischen wandeln? Aus Äußerungen der „Hohen Beamten“ der KSZE, die das Treffen der Außenminister vorbereiteten, läßt sich schließen, daß fünf der GUS-Staaten — Weißrußland, Moldawien, Armenien, Usbekistan und die Ukraine — noch vor der Eröffnung der Sitzung durch den tschechoslowakischen Staatspräsidenten Václav Havel aufgenommen werden könnten. Eine sofortige Mitgliedschaft aller zehn Staaten würde jedoch, so ein Mitglied der tschechoslowakischen Delegation, die organisatorischen Möglichkeiten der KSZE übertreffen. Allein die Zahl der Mitglieder stiege dadurch von 38 auf 48.

Dennoch ist die Bereitschaft, alle Staaten so schnell wie möglich aufzunehmen, hoch. Dadurch, so eine häufig zu hörende Ansicht, könnten die asiatischen GUS-Staaten vor dem „wachsenden Einfluß des Fundamentalismus“ bewahrt werden. Daß es zwischen einigen alten und zukünftigen Mitgliedstaaten der KSZE noch keine diplomatischen Beziehungen gebe, sei kein großes Problem. Einerseits werde darauf natürlich Rücksicht genommen, andererseits zeige sich hier auch der Vorteil des KSZE-Prozesses. Obwohl, so ein vielzitiertes Beispiel, zwischen der Tschechoslowakei und dem Vatikan jahrelang keine diplomatischen Beziehungen bestanden hätten, wäre im Rahmen der KSZE eine Zusammenarbeit möglich gewesen.

Doch damals war allerdings das Hauptziel der KSZE ein anderes: die Einleitung von Verständigungsprozessen zwischen streng voneinander getrennten Blöcken. Heute sind diese Blöcke verschwunden. Anstelle dessen treten — befreit von allen Blockrücksichten — wieder die Einzelinteressen der verschiedenen Staaten in den Vordergrund. Und hier dürften auch die Konflikte der Zukunft liegen — einige von ihnen haben sich bereits in den letzten Tagen gezeigt. So scheint Griechenland zwar keine Einwände dagegen zu haben, daß Slowenien und Kroatien einen „Beobachterstatus“ erhielten. Andererseits steht es einer zukünftigen Mitgliedschaft Makedoniens jedoch ablehnend gegenüber.

Die Türkei möchte die Aufnahme zumindest eines zentralasiatischen Staates bereits bei diesem Außenministerratstreffen erreichen. Die USA lehnen eine Beteiligung der von ihr nicht anerkannten GUS-Staaten ab. Sicher ist somit vorläufig nur dies: Gegen den Willen auch nur eines Mitgliedstaates wird kein Land in die KSZE aufgenommen. In diesem Fall wird das Konsensprinzip nicht durchbrochen.

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