Demonstrationen in Budapest: Ungarn braucht Helden
Zehntausende Orbán-Anhäger jubeln am Samstag dem ungarischen Premier zu. Eine Gegenkundgebung der Opposition fällt deutlich kleiner aus.
Vor einer Woche haben sechs Oppositionsparteien gemeinsame Kandidaten für die Wahlen vom kommenden April gewählt. Der konservative Lokalpolitiker Péter Márki-Zay wird den populistischen nationalkonservativen Orbán herausfordern. In den 106 Wahlkreisen wurde der jeweils aussichtsreichste Kandidat oder die Kandidatin der Parteien von links bis ganz rechts bestimmt.
Als stärkste Kräfte kristallisierten sich dabei die sozialdemokratische Demokratische Koalition (DK) und die ehemals rechtsextreme Jobbik, die sich seit einiger Zeit gemäßigt rechts präsentiert, heraus. DK wurde vom ehemaligen Premier Ferenc Gyurcsány gegründet, einem der meistgehassten Politiker des Landes. Seine Frau Klára Dobrev war in der Stichwahl Márki-Zay unterlegen.
In der Regierungspropaganda wird Gyurcsány als sinistrer Strippenzieher hinter der geeinten Opposition dargestellt. „Stop Gyurcsány!“ forderten auch vorfabrizierte Transparente, die an aus allen Teilen der Republik herbeigekarrte Manifestanten verteilt wurden. Zahlreiche dafür angemietete Busse säumten die Andrassy-Straße. Auch Gruppen von Polen und Anhänger des italienischen Rechtspopulisten Matteo Salvini wurden gesichtet.
Jubelplattform für die Fidesz-Partei
Organisiert wurde der „Friedensmarsch“ vom Forum der Bürgereinheit, einer Jubelplattform für die Fidesz-Partei, die Orbán eine Zweidrittelmehrheit im Parlament liefert. Für den Vorsitzenden László Csizmadia sollte auch ein starkes Signal der Souveränität Richtung Brüssel gesandt werden weil die EU Ungarn „ungerecht“ des Demokratieabbaus bezichtige.
In seiner mehr als elfjährigen Herrschaft hat Viktor Orbán den größten Teil der Medien unter seine Kontrolle gebracht, alle staatlichen Institutionen mit bedingungslosen Gefolgsleuten besetzt und die Verfassung auf seine Bedürfnisse zugeschnitten. Die ausufernde Korruption und Vetternwirtschaft haben aber einen wachsenden Teil der Wählerschaft entfremdet. Deswegen rechnet sich die Opposition erstmals seit 2010 Chancen auf einen Wahlsieg aus.
Dass Orbán bei der Abschlusskundgebung selbst auftrat, beweist die Bedeutung, die er dieser Mobilisierung beimisst. Er pries den wirtschaftlichen Fortschritt unter seiner Regierung, ohne allerdings die üppigen EU-Subventionen zu würdigen, und geißelte die vorherigen Regierungen: „Es hat uns Jahre gekostet, die Zerstörung durch die Linke wieder gut zu machen“.
Kleinere Oppositionskundgebung
Während die Pro-Orbán-Demonstration vor allem von Menschen im Pensionsalter getragen war, waren bei der viel kleineren Oppositionskundgebung am Rande des Heldenplatzes viele junge Leute und ein Mix aller Generationen zu sehen. István Hegedüs, Chef der NGO Ungarische Europagesellschaft, glaubt, die Beteiligung sei nicht größer gewesen, weil erst vor knapp einer Woche zur Demonstration aufgerufen wurde. Außer den sozialen Medien hatten die Organisatoren der vereinten Opposition kaum Verteilungskanäle.
Nacheinander traten die Spitzenleute der sechs Oppositionsparteien auf die Tribüne und riefen zur Einheit gegen Orbán auf. Wie Orbán nahm auch Péter Márki-Zay Bezug auf den antistalinistischen Aufstand von 1956. Damals hätten die Ungarn genug gehabt vom russischen Einfluss, „den dummen Führern, Abhörskandalen, Hasskampagnen und staatlicher Propaganda“, und auch „heute haben wir genug“. Damals hätten sich die Helden erhoben, so der künftige Spitzenkandidat: „Auch heute brauchen wir wieder Helden!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe