Demonstration gegen Rassismus: Neuer Schwung für Flüchtlinge
Mindestens 1.800 Menschen gingen am Samstag gegen Rassismus auf die Straße - auch ehemalige Bewohner des Oranienplatzes und der Gerhart-Hauptmann-Schule.
Zufrieden schaut sich Turgay Ulu auf dem Spreewaldplatz nahe des Görlitzer Bahnhofs um. Der Platz ist voller Demonstranten – nach Angaben der Polizei sind 1.800 gekommen, nach Angaben der Veranstalter 4.000. Viele von ihnen tragen Fahnen und Transparente. Musik schallt über den Platz; über ein Megafon werden Ansagen gemacht. Auch Ulu hat eine rote Fahne mit der Aufschrift „Refugee Strike“ in der Hand. Er ist ehemaliger Bewohner des früheren Protestcamps am Kreuzberger Oranienplatz und wohnt derzeit mit 44 weiteren Flüchtlingen in der früheren Gerhart-Hauptmann-Schule.
Vor etwa einem Jahr habe er angefangen, die heutige Großdemonstration gegen Rassismus mit anderen Vereinen und AktivistInnen zu planen, erzählt er. „Der Oranienplatz war Zentrum des deutschlandweiten Protests gegen die menschenunwürdige Asylgesetzgebung“, sagt der Flüchtlingsaktivist, der in der Türkei als Journalist gearbeitet hat, bevor er 15 Jahre wegen politischer Arbeit im Gefängnis einsaß. „Mit der Demonstration wollen wir unseren Protest in die Breite tragen.“
Gemeinsam mit rund 80 anderen Unterstützern haben sich die Geflüchteten um Turgay Ulu zu der neuen Kampagne „My right is your right!“ zusammengetan, um am Globalen Tag gegen Rassismus für eine menschlichere Asylpolitik in Deutschland und Europa auf die Straße zu gehen. Unter anderem fordern sie die vollständige Abschaffung der Residenzpflicht sowie den Stopp der Lagerunterbringung und aller Abschiebungen. Auch für ein Bleiberecht, Bildung, Arbeitsmöglichkeiten, eine Krankenversorgung und frei gewähltes Wohnen für Geflüchtete setzen sie sich ein.
Es ist nicht nur ein Protest gegen derzeitige, sondern auch gegen zukünftige Missstände: Die Bundesregierung plant zurzeit mit dem „Gesetz zur Neugestaltung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“ eine Verschärfung des Asylgesetzes. Unter anderem soll die Abschiebehaft ausgeweitet und durch Aufenthalts- und Einreisesperren die geplante Bleiberechtsregelung ausgehebelt werden. Das Gesetz soll im Sommer 2015 in Kraft treten.
Den Stempel aufgedrückt
Zu den Unterstützern der „My right is your right!“-Kampagne gehören Theatermacher, Juristen, Aktivisten, Nachbarschaftsvereine, Gewerkschafter und Kirchenvertreter – ebenso divers sind die Redebeiträge und Transparente auf der Demo. Der Marsch führt unter dem Motto „Auf der Spur rassistischer und kolonialer Orte“ zur Mohrenstraße, deren Name stark umstritten ist, und von dort aus zum Humboldtforum, das mit seiner geplanten ethnologischen Ausstellung in der Kritik steht. Jedem dieser Orte drücken die Aktivisten einen selbst gefertigten Stempel mit der Aufschrift „Name it racism“ auf.
Als die Protestierenden an der besetzten Schule in der Ohlauer Straße vorbeikommen, werden die Demonstranten lauter. „Was im Grundgesetz zur Gleichheit steht, wird nicht immer umgesetzt“, ruft eine Aktivistin der Kampagne den Protestierenden zu. „Die Vorurteile in den Köpfen sind auch ohne gewalttätige Handlungen gefährlich“, fügt sie an. „Flüchtlinge in Deutschland sind permanent Alltagsrassismus ausgesetzt“.
Turgay Ulu ist zusammen mit anderen Flüchtlingen vom O-Platz noch immer unter den Demonstranten. Etwa 200 der Oranienplatz-Flüchtlinge lebten seit der Räumung des O-Platzes im April 2014 obdachlos in der Stadt, berichtet Ulu. Die ursprünglich für den 19. März geplante Räumung der Gerhart-Hauptmann-Schule sei ausgesetzt worden; drei Gerichtsentscheidungen stünden noch aus. Statt der Räumung hat Ulu ganz andere Ideen: „Aus der Schule wollen wir ein internationales Refugee Center machen“, sagt er. „Wir wollen einen Ort der Begegnung schaffen, wo man diskutieren und musizieren kann.“ Einen Anfang in punkto Begegnung hat die Demonstration vielleicht schon gemacht – und neuen Schwung in die Berliner Flüchtlingsbewegung gebracht.
Als es am späten Nachmittag zu regnen anfängt, sind Ulu und die anderen Demonstranten immer noch auf der Straße. Um 17 Uhr geht die Demonstration störungsfrei zu Ende. Nach dem Umzug hat die Kampagne zu Podiumsdiskussion, Theater, Konzert und Party im Yaam geladen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation